... und noch immer präsentiert Jimi Tenor den Bläser-Funk in gewohnt altbackener und cineastischer Schönheit. Er konfrontiert fast unverzeihliche Klischees mit einer musikalischen Perfektion, die ein Vermögen kosten muss. Doch die Klischees sind keine Koketterie. Jimi Tenor meint alles ernst und vielleicht bleibt er gerade deshalb so faszinierend. Neu sind übrigens einige Einflüsse aus der Weltmusik, die aber weit von pathetischen Ethno-Popsongs entfernt bleiben......
-o-
Denkt man an Finnland, so erscheinen unwillkürlich Bilder von endlosen Schneewüsten in deren Weiten ein paar verirrte Rentiere ziellos durch die Gegend stapfen, ewig andauernde, zur Depression verführende Polarnächte und leere Wodkaflaschen, mit denen die ersten beiden Erscheinungen zu bekämpfen sind, vor dem inneren Auge. An eines denkt man mit Sicherheit nicht: Musik.
Das dürfte sich inzwischen radikal geändert haben, denn schließlich können die Finnen mit Jimi Tenor den ersten internationalen Superstar aus dem hohen Norden präsentieren. Anfangs sah es nach allem, nur nicht nach einer Musikerkarriere für den extravaganten Jimi aus. Das Jazzinstitut verließ er vorzeitig und gezwungenermaßen, um seinen Lebensunterhalt fortan als Alleinunterhalter auf Hochzeiten zu bestreiten und im Nebenjob mit der Band Shamans seinen Landsleuten den Industrial näherzubringen.
So schien die Emigration nach New York der konsequente Schritt fort aus der Trostlosigkeit Finnlands hinein in den Schmelztiegel der Ideen zu sein. Doch statt sich in den Großstadtdschungel zu stürzen, schloss Tenor sich in seinem Appartement ein, tüftelte an billigen Synthesizern herum und spielte einige Stücke ein. Als das finnische Sähkö-Label sich entschloss, die skurilen Werke 1994 unter dem Titel "Säkomies" zu veröffentlichen, begann sie: die große Karriere. Die englische Presse feierte ihn als Techno-Gott und verhalf ihm zu einem gewissen Kultstatus.
So war der Weg frei für den Nachfolger "Europa" im darauf folgenden Jahr und einen Auftritt im Rahmen der Love-Parade 1996, der ihm mit seinem Hit "Take Me Baby" den Durchbruch in die Charts bescheren sollte und einen Plattenvertrag bei Warp-Records, wo auch Aphex Twin alias Richard D. James seine Werke veröffentlicht. Kein Wunder also, dass sein erstes Album bei Warp mit dem Titel "Intervision" dann die ungeteilte Aufmerksamkeit des Popgeschäfts auf sich zog und Tenor fortan ob seines Äußeren des öfteren mit Andy Warhol auf eine Stufe gestellt wurde. 1999 folgte mit "Organism" die konsequente Fortsetzung seiner auf "Intervision" zum Markenzeichen erhobenen Mixtur aus Jazz, Dance und Soul-Elementen, verquirlt zu einem einzigartigen Tenorsound.
Nach "Out Of Nowhere" (2000), "Utopian Dream" (2001), "Higher Planes" (2003) und "Beyond The Stars" (2004) veröffentlicht Tenor 2006 im Auftrag der Deutschen Grammophon ein Album mit rekomponierten Stücken solch illustrer Komponisten wie Steve Reich, Oliver Messiaen, Erik Satie, Nikolai Rimsky-Korsakov, Pierre Boulez oder Edgard Varèse. "Es sollte eine 50/50-Balance zwischen dem Original und meiner Musik geben. Die Auftraggeber wollten keinen radikalen Remix" kommentiert Tenor das Geschehen. Auf die Frage, ob er mit dem Material besonders vorsichtig umgehen musste, erklärt er im Welt-Interview: "Ja. Die noch lebenden Komponisten mochten die Idee überhaupt nicht, dass jemand mit ihren Stücken Schindluder treibt. Es sind ihre Kinder. Einer sagte: Remix bedeutet nichts anderes, als deine kleine Tochter in die Hände eines Vergewaltigers zu geben."
Dennoch gelingt dem experimentell erfahrenen Elektronik-Kauz eine ebenso coole wie verstörende Platte, der er jedoch wenig kommerziellen Erfolg zumutet. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ReComposed-Serie ein großer kommerzieller Erfolg sein wird. Ich frage mich, wer sich das kauft" gibt er unverhohlen zu.
Die Nachfrage nach "ReComposed" hält sich erwartungsgemäß in Grenzen und Jimi Tenor widmet sich wieder seiner Leidenschaft für Afrobeats und Jazz. Mit gleich zwei Veröffentlichungen beglückt er 2007 die Schar derer, die sich mit mal schrägem, lustigem oder euphorisch wildem Afrobeat anfreunden können.
"Live In Berlin" hält dabei einen Gig mit der Berliner Afroband Rhythm Taxi fest, den Tenor 2005 in der Hauptstadt spielt. Der Aussage des Jazzthing-Autors Olaf Maikopf, "die Nummern sind psychedelischer Bläser-Afrofunk in angenehmer Retro-Schönheit, musikalisch perfekt, voller ernsthaft gemeinter Klischees aus Big-Band-Jazz, Ethno und Bratz-Rockgitarre" , ist nichts hinzuzufügen.
Auf "Joystone" bittet der durchtriebene Finne den Ex-Fela Kuti-Perkussionisten Nicholas Addo Nettey, das westafrikanische Trio Kabu Kabu, seine Frau Nicole Willis und einige andere ins Studio. Gemeinsam erzaubern sie eine funkige Afro-Jazz-Scheibe, die vor Spielfreude geradezu überquillt.