Scrambles, Anthems and Odysseys
Musik für Zeiten des Umbruchs / Dunkle Welten vs. Emotionen
Mit ihrem neuen Album Scrambles, Anthems and Odysseys errichten die Sofa Surfers eine teils dystopische, teils hoffnungsvoll mutige Parallelwelt. Dabei gelangen sie an musikalische Orte, die sich zwar von Beginn ihrer Karriere an am Horizont abgezeichnet haben, die aber bislang selten noch derart kompromisslos erreicht wurden: Ohne Hemmungen gehen hier dunkle Drohnen und SciFi-Synths mit packenden Kompositionen und exzellenten Vocals Allianzen ein; mehr denn je erlaubt sich die Band Gefühle – und die dürfen durchaus auch mal groß sein.
Massive Trap- und Electrobeats treffen auf Rave-Referenzen sowie auf dezente Anleihen aus den 1980er-Jahren – und auf Mani Obeyas mitreißend klare, bei Bedarf wunderschöne Stimme, die den erzählerischen Bogen mühelos zu spannen vermag. Mit Soulcat E-Phife wurde für ein paar Songs ein kongenialer Gegenpart gefunden: Die Wiener Rapperin treibt das Tempo voran und unterstützt den für die Sofa Surfers ungewohnt emotionellen Ansatz.
Denn das ist wohl das Erstaunlichste auf dem achten regulären Studioalbum der Band: der Mut zur Melodie, das Bekenntnis zur Emotion. Das hat man von den Sofa Surfers so kompromisslos noch nicht gehört. Ungewöhnlich? Ja – und es ist verdammt gut so.
Nahezu lautlos nähert sich die Gondel den Wartenden.
Es dürfte sich um keine freudige Ankunft zu handeln – eher scheinen die Ankömmlinge bereits dringend erwartet werden.
Sind tatsächlich sie es, die diese dringend notwendige Operation ausführen können?
„When the mists do descend
I‘ll be there to defend your honour
And I‘ll help your to mend those bridges
And hold your towers“
Scrambles, Anthems and Odysseys, das neue Album von den Sofa Surfers, führt an einen Ort, der irgendwo in der zukünftigen Vergangenheit liegt. Ein Ort, zu dem sie schon lange reisen, ihm aber erst jetzt so nah wie kaum zuvor sind. Im Opener Grass Under Your Feet stellen sie gleich mal herkömmliche Albumroutinen auf den Kopf: Die retrofuturistische Ballade atmet Abschied und Ankunft gleichermaßen.
Mit Beyonder Girl nimmt die Mission rapide an Fahrt auf: Dunkler R’n’B kommender Dekaden kontrastiert mit Beats, die an die Frühzeit von Rap und Breakdance erinnern – und nicht still sitzen lassen. Musik als Antrieb, um Umwälzungen vorzunehmen. Und erneut bringt die Stimme Mani Obeyas Klarheit. In Bread & Circuses feat. Soulcat E-Phife verschärft sich die Gangart hingegen deutlich: Die Wiener Rapperin lässt ihre Worte und Phrasen Wurfsternen gleich durch die dichte Atmosphäre wirbeln; Trap Beats und wahnwitzige Arpeggios signalisieren den Einzug der ungeliebten Gladiatoren. Lebend kommt aus diesem Song ohnehin keiner mehr raus.
Die Crew auf der Gondel wirkt entschlossen. Sie wissen: Mit der Kraft ihres Verstandes allein wird die Operation gewiss nicht zu bewältigen sein. Sie müssen sich auf ihre Instinkte verlassen, die bleiernen Klammern um ihre Herzen lösen und mehr denn je ihre Emotionen in die Schlacht werfen. Nur so werden sie eine Chance haben. Vielleicht.
„Check out my evil corpuscles
My evil eye and my muscles
Six-pack the envy of Adonis
MC hammer and sickle can‘t touch this“
... singt Mani Obeya in Most Dangerous Man Alive. Und dieser Song ist mindestens genauso gefährlich wie die Person, um die es geht. Treibend und dennoch soundtrackartig, unterschwellig und unerkannt böse. Bis zum mentalen Zerfall. Jetzt heißt es aufpassen, damit die Operation durch solche Schurken nicht in Gefahr gerät. Denn dann könnte es durchaus passieren, dass es zu einer derben Rauferei kommt: In Scramble kollidieren Welten – oder sind es doch die gegensätzlichen Protagonisten der Vision von Scrambles, Anthems and Odysseys? Dicke, trappige Grooves und erneut ist es Mani, der die Geschichte zum Leben erweckt. Und wieder schwellen subtile SciFi-Synths und Drohnen, die das Mindsetting definieren.
Jetzt nur nicht paranoid werden. Denn wer paranoid wird, macht Fehler; wird zum Ziel und ist ständig Beute. Aber ach, zu spät: Paranoid Triggerfinger ist der Soundtrack zur Flucht ohne Ankunft. Hör nicht auf das, was sie sagen. Es würde deine Gedanken vergiften. Aber keine Angst, es wird alles gut. Das Antiserum wird in der sprichwörtlich letzten Sekunde geliefert: Woody’s Ballad feat. Issi Honi heißt es, das Duett von Mani Obeya und seiner Tochter Issi. Es heilt alle Wunden, so munkelt man.
„This life will pass you by at high speed
Go zooming by
But you‘ll be laughing as you‘re lowered
Cos you lived so high“
Mongrel ist ein selbstbewusstes Statement; es ist der Moment, an dem sich das Blatt wenden kann – die zwingende Triplet-Groove, die allgegenwärtigen 90ies-Synths und Manis herausfordernder Gesang vermögen die Gegner zu hypnotisieren. Ein Energiestrahl zum perfekten Zeitpunkt. Und dann die unerwartete Verwandlung: Raven-Us hebt elegant ab, ohne seine düsteren Referenzen abzulegen; magisch leuchtend und prickelnd schwebt der Vogel in der Luft auf der Suche nach Beute.
Die Lage spitzt sich zu. Jetzt gilt es, die Operation durchzuziehen und die Angreifer abzuschütteln – ohne in Panik zu geraten. Mit offenen Herzen und ebensolchen Armen stellt sich die Crew dem Mahlstrom und kontert mit puren Emotionsblitzen den aus allen Richtungen erfolgenden Attacken. Es sieht gut aus; besser als erwartet.
Zum zweiten Mal wird die Geheimwaffe eingesetzt: Skins feat. Soulcat E-Phife ist ein Hi-Energy-Kracher, der mit seiner dubbigen Grundatmosphäre und dem Wechselspiel von Soulcat und Mani ganze Wände niederreißen kann. Haben wir eigentlich schon erwähnt, dass das ganze Album eine erstaunliche Anzahl unterschiedlicher Clap-Sounds auf Lager hat?
Und weil wir gerade von Wände niederreißen sprechen: The Fixer (Refixed) war die erste Single zu Scrambles, Anthems and Odysseys und wirkt in der neuen Version noch eleganter als die Urversion. Der Fixer wird jedenfalls zum richtigen Zeitpunkt den Ausgang entscheiden können.
„These days seem polluted
Our lives convoluted
Our futures are looted
And we‘re all muted“
All ist der letzte Song des Albums; eine mitreißende und dennoch melancholische Bestandsaufnahme über das, was nach der erdumspannenden Operation übriggeblieben ist. Die Wunden verheilen langsam, und das kurze Glück des Triumphs weicht der Erkenntnis, dass der Kampf um Veränderung, der große Umsturz also, gerade erst begonnen hat.
Zeigt uns das Covergemälde des brasilianischen Graphic Artists Bruno Biazotto eine fiktive Welt? Schwer zu sagen, denn das Bild ist synchron mit den Arbeiten am Album entstanden – im ständigen Austausch beider Parteien. Ebenso fließt also auch das Bild in die Musik ein: Das Spürbarmachen einer gemeinsamen Vision. Und die wirkt zum Greifen nah.
Sehr intensiv, besonders & schön. Und es lässt es sich zu ihrer Musik nicht nur fein im Sofa surfen, sondern auch trefflich tanzen.
Ein musikalisches Zwischenreich der Gefühle, das Soul & Noise aufnimmt und live dem Zuhörer physisches Mithören wie Headbangen, Springen oder Mitschreien abverlangt.
Der Name SOFA SURFERS führt schon seit jeher in die Irre: Mitnichten haben wir es bei Wolfgang "I-Wolf" Schlögl, Markus Kienzl & Co mit sesselfurzenden Laptop-Nerds zu tun, die die Lounge-Leier für die Latte-Macchiato-Fraktion bedienen. Zuviel Düsterkeit, Dynamik, Dichte und Dringlichkeit lebt seit den Anfangstagen von "Transit" (1997) in ihrer Musik, als dass sie als schale Soundkulisse missbraucht werden könnte. Und daran hat sich - der Beharrlichkeit der SOFA SURFERS sei Dank - nichts geändert. Mehr noch: spätestens seit ihrem selbstbetitelten "roten Album" 2005 und noch stärker beim aktuellen Opus "Blindside" gelingt es den SOFA SURFERS immer besser, die fesselnde Atmosphäre ihrer Konzerte auch studiotechnisch einzufangen. Sprich: auch auf Platte gewinnen schneidende "White Rock"-Gitarren mehr Einfluss, der Downbeat-Seligkeit wird weitestgehend abgeschworen. Dennoch lässt sich bei aller Brillanz ihrer Tonträger der Besuch einer Live-Performance der Herren durch nichts ersetzen. Grund dafür sind nicht zuletzt die kongenialen Video- und Lichtinszenierungen, die schon seit den Anfangstagen Fixpunkt jedes SOFA SURFERS-Auftritts sind.
Wenig überraschend ist deshalb, dass die cineastische Schlagseite des Wiener Quartetts auch heimischen Filmschaffenden nicht verborgen blieb - die Soundtracks zu den Wolf-Haas-Bestseller-Krimis "Komm, süßer Tod", "Silentium" und "Der Knochenmann" mit Josef Hader in der Hauptrolle machten die SOFA SURFERS auch in musikalisch weniger bewanderten Kreisen bekannt. Die Live-Version der Brenner-Vertonungen wusste vor etwa einem Jahr auch das Treibhaus-Publikum zu begeistern. Und nun also dürfen wir uns eine wuchtige Umsetzung von "Blindside", auf eine ordentliche Portion Energie, auf Soul-Vocals des Dauergastsängers Mani Obeya, auf heiligen Lärm und gnadenlose Konsequenz freuen. Ohne Zweifel: große Musik.
"Die Sofa Surfers sind der seltene Fall einer Band, die sich einem steten Wandel unterwirft, um gleichbleibend hohe Spannung und konstante musikalische Qualität zu liefern." (Walter Gröbchen)