"Diese Stunde der Idiotie"-Wollt ihr den totalen Krieg?
- die Frage ist: "Darf man über Geschichte lachen?" - und weiter - darf
man dies zu einem Zeitpunkt wo Geschichte gerade einmal wieder
heraufbeschworen wird ???"
"WOLLT IHR DEN TOTALEN KRIEG ?"
zitiert
SERDAR SOMUNCU
den Volksverhetzer JOSEF GOEBBELS und läßt einem angesichts der
Bedeutung dieser Worte, einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
Der deutsch-türkische Ausnahmeschauspieler und Regisseur, der in den
vergangenen Jahren mit seiner schier nicht enden wollenden
Lese-/Kabarettreise über HITLERs "Mein Kampf" europaweit für Aufsehen
und begeisterte Pressestimmen sorgte, läßt erneut den "braunen Geist"
aus der Flasche und zeigt einmal mehr mit Bravour und Feingefühl, daß
sich nach Adolfs krausem Manifest auch Goebbels Sportpalastrede als
DANKBARER SATIRESTOFF förmlich aufdrängt.
Im Mittelpunkt des Abends steht eben jene Rede, die Goebbels am 18.
Februar 1943 kurz nach der Niederlage von Stalingrad zur 10-Jahr-Feier
der Machtergreifung Hitlers im Berliner Sportpalast hielt.
Doch ist es nicht Goebbels an sich, der Somuncu umtreibt, sondern die
bange Frage danach, wie politische Propaganda damals funktionierte -
und ob sie auch heute ähnlich funktionieren könnte, und zwar keineswegs
nur in Deutschland. Diese Frage lässt sich wohl kaum verneinen, und
daher ist es Somuncus Credo, dass man lernen muss, zwischen Lüge und
Wahrheit zu unterscheiden.
Serdar Somuncu lässt keine Zweifel, wie er politisch und emotional
tickt. Er will sensibilisieren. Für Geschichte, um sie zur Kenntnis zu
nehmen und sich dazu in Beziehung zu setzen. ?Geschichte verbietet man
nicht, man lernt daraus!?
Aufregend und bedrückend ist es, die Rede Joseph Goebbels' zu studieren. Eines der wichtigsten Dokumente für die seitdem herrschende Verwirrung der Begriffe. Mehr als zwei Stunden lang bellte, schmeichelte und ironisierte der Demagoge, redete den Sehnsüchten der Deutschen nach dem Mund.
Wie aus Lüge Wahrheit wird, aus Meinung Fakt, wie ein ganzes Wertesystem auf dem Kopf stehen kann - das hat Goebbels den Deutschen eingebleut. "Das im Nationalsozialismus erzogene, geschulte und disziplinierte deutsche Volk kann die volle Wahrheit ertragen!" deklamierte der Volksverhetzer. "Bravo - Rufe, Beifall" vermerkt das Protokoll. Keiner sollte sich vorstellen können, wie erbärmlich der Untergang an der Front war. Vom "großen Heldenopfer", sprach der Demagoge, vom "Alarmruf des Schicksals", vom Auftrag der Deutschen gegen "den Ansturm der Steppe auf unseren ehrwürdigen Kontinent", vom Kampf gegen "die Weltrevolution der Juden, und, verdrehter noch, "ihre internationale, bolschewistisch verschleierte kapitalistische Tyrannei." So trommelte der kleine, verkrüppelte Mann auf sein Volk ein, und die bestellten Jubler, unter ihnen populäre Schauspieler wie Heinrich George, zeigten sich begeistert. Und Goebbels trieb sie ins Stakkato seiner mörderischen Fragen - ja, sie wollten alles, den totalen Sieg, den totalen Krieg, nur den totalen Untergang wollten sie sich nicht vorstellen.
Stefan Berkholz, Tagesspiegel Berlin/ Dirk Schönrock, Berliner Morgenpost
Nach der spektakulären Lesung aus Hitlers "Mein Kampf" startet Serdar Somuncu am 21.Jan.2002 mit einem neuen, nicht minder brisanten Projekt. Unter dem Titel "Wollt ihr den totalen Krieg" liest Somuncu Ausschnitte aus der berühmt-berüchtigten Sportpalastrede vom 18.Februar 1943.
"Somuncus Dramaturgie ist perfekt. Das erklärende Wort wechselt mit dem Goebbels-Text, nur jene Stelle, die alle kennen - diese eine von zehn "Wollt-ihr?"-Fragen -, hören wir im Originalton. Und spüren einen bösen, beklemmenden Augenblick lang die Macht, die noch dem wahnwitzigsten Wort Gewalt verleihen kann. Ein paar Tage nach der Sportpalast-Rede notiert Goebbels in sein Tagebuch: "Diese Stunde der Idiotie. Hätte ich gesagt, sie sollen aus dem dritten Stock des Columbus-Hauses springen, sie hätten es auch getan." - Geht es vernichtender, entzaubernder, direkter, aufklärender?" (Kerstin Decker, Tagesspiegel, Berlin)
„Hitler nervt!“- Ende eines Mythos
Jahrelang hat sich Serdar Somuncu durch die deutsche Provinz gequält. Dabei war das Ziel seiner Reise mit der Lesung aus Hitlers „Mein Kampf“ eigentlich von Anfang an klar. Eine richtige Schauspielexperience sollte es werden, wie es sie vorher nur von Helmut Qualtinger gab, mit allen Höhen und Tiefen, die ein dramaturgischer Thriller so braucht. Die Voraussetzungen waren gut. Denn keiner weiß, welch wirre Kraft in Hitlers frühem Werk verborgen ist, die wenigsten wissen wie man es überhaupt liest, und Eingeweihte schmunzeln darüber, dass die Urheberrechte laut Beschluss der Alliierten von 1945 immer noch beim bayerischen Finanzministerium liegen.
Schließlich ist es eine Achterbahnfahrt in die Befindlichkeit der deutschen Seele in Gegenwart und Vergangenheit geworden. Denn was der türkische Schauspieler und Regisseur bei seinen mehr als 1500 Auftritten erlebt hat, ist ernüchternd und aufregend zugleich. Ein Querschnitt durch die Veranlagung der Republik . Ein Ausflug in Diskussionsperspektiven, Empfindlichkeiten, Affekte und lang erstarrte Honorationsrituale. Vor allem aber Drohungen. Mehr als einmal musste Somuncu hinnehmen, dass es manchen immer noch unangenehm aufstößt, dass sich ein Schauspieler in dieser Art mit den Ikonen des Nationalsozialismus auseinandersetzt. Und so hagelte es Mord und Bombendrohungen, wo immer Somuncu auch ankündigte lesen zu wollen. Grund genug also aufzuhören.
Das war vor genau einem Jahr, als die deutsche Öffentlichkeit konstatierte, es gäbe keine Nazis mehr. Damals hatte Somuncu das Ende seiner Erinnerungsarbeit an den „größten Schauspieler“ aller Zeiten verkündet, um fortan ein Leben unter seinesgleichen führen zu wollen. Ein ganz normaler Schauspieler wollte er sein, Shakespeare, Goethe oder Kafka lesen, gelandet ist er beim zweitgrößten Schauspieler aller Zeiten: Joseph Goebbels.
Mit seiner Lesung aus der berühmt berüchtigten Sportpalastrede vom 18.Feb.1943 wagte sich Somuncu bewusst auf ein heikles Terrain. Ging man anfangs noch davon aus, dass sich die Attraktion einer One Man Show über Hitlers Pamphlet in der in seinem einzigen Werk erkennbaren Unüberschaubarkeit der rhetorischen Veranlagung des Diktators amüsant erschöpfen würde, so war man doch gespannt auf den erneuten Drahtseilakt, der nicht zuletzt darin bestand, dass ein Schauspieler antrat, um den Mythos einer vermeintlich genialen Rede zu zerstören, deren Inhalt wahrlich niemand kennt. So bleibt die Erkenntnis Somuncus zum Gelingen seiner Arbeit auch zwiegespalten. Einerseits hat er sein Ziel, die künstlerische Demontage eines Demagogen nämlich, eindrucksvoll erreicht. Andererseits jedoch, hat sein Bemühen nicht den geringsten Einfluss auf die Einstellung der Zuschauer gebracht, die seine Vorstellung nicht besuchten. Und davon gab es vermutlicherweise noch eine Menge.
Ungeachtet dessen oder gerade deswegen startet Serdar Somuncu am 15.Jan.2003 die endgültig letzte Etappe seiner Tournee mit einer Lesung im Kölner Klüngelpütz Theater. Fast zeitgleich zu den Jahrestagen seiner historischen Vorlagen führen ihn die Stationen seiner Abschlusstournee auch diesmal wieder quer durch die Republik und über deren Grenzen hinweg. Gastspiele in Augsburg oder Zeitz stehen ebenso auf dem Programm, wie Lesungen in Österreich und der Schweiz. Fragt man Somuncu nach seinen Beweggründen für den Ausklang seiner überaus erfolgreichen Reisetätigkeit, so wird man weder überrascht noch enttäuscht sein. „Hitler nervt!“
VITA SERDAR SOMUNCU
Serdar Somuncu, türkischer Staatsbürger, geboren am 03.06.1968 in Istanbul studierte Schauspiel, Musik und Regie in Maastricht (NL) und Wuppertal.
Seit 1985 ist er ununterbrochen in diesen Bereichen tätig.
Neben der Mitwirkung an diversen Produktionen für Film, Funk und Fernsehen (Lindenstraße, Die Anrheiner, Schwarz greift ein) inszenierte Somuncu über 100 Theaterstücke und wirkte bei zahlreichen Produktionen als Schauspieler mit, u.a. an den Schauspielhäusern in Wuppertal, Frankfurt/M, Bremen und Bochum.
Seit 1987 leitet er das Kammerensemble in Neuss
1990 erhielt er für seine Darstellung des Affen Rotpeter in Franz Kafkas „Bericht für eine Akademie“ den 1.Deutschen Literatur Theater Preis.
Für seine ungewöhnliche Inszenierung von „Bukowski-Blues“ erhielt er 1993 den Europäischen Nachwuchsförderpreis in Wien. Die Uraufführung fand in einem Kölner Bordell statt und wurde von Obdachlosen gespielt.
Seit 1996 tourt Somuncu mit einer spektakulären Lesung aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ durch Europa. Mit über 1000 Auftritten dokumentierte er dabei nicht nur die Notwendigkeit dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit einem der heikelsten Themen unserer Gegenwart, sondern erhielt auch allseits Lob und Anerkennung für seine mutige und spannende Interpretation des weitgehend unbekannt gebliebenen Pamphlets. Dabei führten ihn die Stationen seiner Reise auch immer wieder zu den neuralgischen Punkten der deutschen Geschichte. Für die taz ist er deswegen der „Mann des Jahres 1996“
Mit seiner Lesung u.a. in Sachsenhausen vor ehemaligen Häftlingen des Lagers oder in Wurzen, einer von vielen nationalen befreiten Zonen, weckte er weltweites Interesse von der Berichterstattung in den Tagesthemen bis hin zu Interviews in der jüdischen Washingtoner Zeitung Aufbau, der Jerusalem Post, dem BBC in London, der türkischen Tageszeitung Hürriyet oder dem finnischen Staatsfernsehen in Helsinki.
Aber auch Drohungen sind für Somuncu an der Tagesordnung, stößt es doch gerade bestimmten Kreisen unangenehm auf, dass ein Türke sich mit ihrer Vergangenheit beschäftigt.
Zum 10.Jahrestag des Mauerfalls inszenierte er 1999 in Dresden die Trilogie „Schuldig! Im Namen des...“ eine Theatercollage über 50 Jahre deutscher Rechtsprechung von Freisler bis Krenz.
Mit Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ war er 1999 das „Highlight“(Thüringer Allgemeine) der 10.Internationalen Theatertage in Weimar
Im September 2000 startete Somuncu mit einer weiteren Lesung. Unter dem Titel „Wollt ihr den totalen Krieg“ liest er Ausschnitte aus der berühmt berüchtigten Rede des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels vom 18.Feb.1943. Der Berliner Tagesspiegel schreibt über die Premiere „Geht es vernichtender, entzaubernder, direkter, aufklärender?“