SCHELLINSKI LIVE AM SPITTELBERG
Was für ein Abend. Wir konnten zwar größtenteils mit dem Bandnamen Schellinski nichts anfangen, doch kamen uns die vier Typen, die dahinterstecken, irgendwie bekannt vor: Frontman Bernie Weber, der nicht nur mit Blues-Harp, Akkordeon und uraltem (erzkatholischem) Harmonium vom heimatlichen Altach aus die weite Reise nach Wien antrat, sondern vor allem seine wahrlich einzigartige Stimme bestens geölt hatte. Gitarrero Walter Schuler, der gleich vier seiner geliebten Saitenfreundinnen mit hatte, Steh-Bassist Markus Kreil und der wahrscheinlich mit dem allergrößten Gefühl gesegnete Schlagzeuger des Landes – Thomas Fend.
Ja, richtig, da gab es doch seinerzeit die alles andere als untalentierte Formation „Twist of Fate“, beheimatet in Altach, musikalisch überall daheim und textlich brav – wie viele andere auch – im völkerverbindenden Englisch. Als sie sich auflösten, versprachen sie wiederzukommen. Nun, von „Twist of Fate“ haben wir zwar nie wieder etwas gehört, dafür kam das grandiose Quartett als „Schellinski“ wieder. Und sie kamen mit einem grenzgenialen Schachzug: Mit teilweise selbstgestrickten (vor allem von Bernie Weber) Texten und solchen von Vorarlbergs Ausnahmeschriftsteller Michael Köhlmeier – im Vorarlberger Dialekt, Gsiberg pur.
Wir Ostösterreicher haben mit diesem ungemein poetischen-weichen Klang zwar unsere kleinen wie großen Verständigungsprobleme, doch hie und da rutscht dann doch das eine oder andere Wörtchen durch, dank dessen uns urplötzlich die ganze erzählte Geschichte klar wird und wir des öfteren an diesem Abend Lieder in uns aufsaugten, die so weit weg sind vom alltagsberieselnden Ö3- und Konsorten-Scheiss, dass einem ganz schwummrig werden konnte vor Verzückung. Poetische Lyrik vom Allerallerfeinsten, Momentaufnahmen im vielerorts bereits längst vergessenen Einklang mit der Natur, archaisch vorangetrieben vom ältesten Urtrieb des Menschen – der verzweifelten Suche nach Liebe und Glück.
Schellinskis einzigartige Symbiose aus Wortkunst und Melodien erzeugt nicht nur wohltuende Ruhe für Seele, Herz und Hirn, sondern projeziert in uns auch unzählige, bemerkenswerte Bilder. Da wird die Blumenwiese vor dem Fenster samt dem Nachbarsgartenzwerg zum Synonym für Sehnsucht (Vor em Fenster), da mutieren Trennungen vom Einzelschicksal zum uralten Ritual seit es Menschen gibt (Gib min schönsta Trom als Pfand), und da wird ein gewöhnlicher Spaziergang zur ultimativen Zeitreise durch die große, weite Welt der Gedanken (Sus han i nüt vor). Und dennoch: Meine deklarierten Favoriten innerhalb des Schellinski-LineUps sind und bleiben zwei ungemein stimmungsvolle Lieder mit gemeinsamem, prägnantem Attribut, der wahrscheinlich höchsten Auszeichnung für ein Lied überhaupt - einfach schön zu sein, schön und ergreifend: „Summrtag“ heisst das eine und „A großes schweres Herz“ das andere. Weltmusik pur, in Melodeien gegossene Kleinode.
Zwei Dinge noch, die ich beinahe zu erwähnen vergaß: All diese Songs findet man auf der bisher einzigen Schellinski-CD „Tränavogel“. Und: Schellinski, aber da würden Sie ohnehin spätestens nach dem dritten Takt des ersten Liedes selbst draufkommen, ist äußerst schlecht geeignet als Kaufhaus-, Fahrstuhl- oder Hintergrundmusik. Schellinski muss man zuhören, spüren, erleben. Hautnah.
Willy Zwerger für Klein&Kunst Onlein