Die Geschichte von Rosanna &Zélia ist die Geschichte einer Reise, die in Minas Gerais ihren Anfang nahm und die beiden Musikerinnen über Portugal und Finnland nach Frankfurt führte. Dort nahmen sie 1993 zunächst die Live-CD "Contra O Mau Humor" auf, um drei Jahre später mit "Passagem" das erste Studioalbum zu realisieren.
"Fern der Heimat erkennt man seine Kultur ganz anders, lernt sie besser zu verstehen. Das war fast wie eine Entdeckung. Alles war plötzlich wie neu. Selbst der Bossa Nova - das war für uns bis dahin alte Musik, die war vorbei. Hier haben wir ganz wertfrei die Schönheit dieses Stiles wiederentdeckt. Auch damit, wie mit all den anderen Spielarten der facettenreichen Musik Brasiliens, wollten wir auch spielen", definierten sich Rosanna & Zélia neu.
Der Albumtitel war dabei Programm. "Passagem" steht für Reise, Durchreise, den Weg, die Fahrkarte und den Brückenschlag, auch zwischen den Kulturen. So gingen die beiden Musikerinnen zurück zu den afro-brasilianischen, aber auch indianischen Wurzeln ihrer Musikgeschichte. Gleichzeitig ermöglichte ihnen gerade auch die Begegnungen mit ausserbrasilianischen Musikkulturen in der Zusammenarbeit mit den deutschen Musikern Eberhard Hahn und Ernst Ströer sowie dem Bandoneon-Star Dino Saluzzi ganz neue Horizonte für die eigenen Kompositionen.
Besonders das Spiel des Argentiniers unterstrich die Melancholie solcher Songs wie "Sobre a Solid‹o" in einem Ma§e, da§ ganz offensichtlich wurde: "Die Musik ist weit entfernt von jeglichem Karneval- und Postkartenklischee", wie in der Kasseler Zeitung zu lesen war. "Die beiden Frauen experimentieren mit Lautmalereien, kunstvollen Balladenstimmungen, Kreuzungen aus Reggae und Samba und religi?ser Ritualmusik", stand in Stereoplay.
Gerade die Melancholie verwundert immer wieder viele Zuh?rer, die vor allem die ausgelassene Musik des Karnevals zwischen Rio und Bahia im Ohr haben. Hier kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt der Reise zurŸck: nach Minas Gerais, dem brasilianischen Bundesstaat, der mit seiner faszinierenden Mischung aus Natur und Kultur immer wieder viele Besucher verzaubert. Es gibt da nicht nur die berŸhmten, oft zitierten welligen grŸnen HŸgel, sondern es ist genauso oft die Rede von den fast "barocken" EinflŸssen (als eine Art Erbe des Kolonialstils), die gerade auch in Musik und Poesie ihre Spuren hinterlassen haben.
Diese Region hat im Vergleich mit dem Rest Brasiliens einen Menschenschlag hervorgebracht, der anders empfindet und denkt, politisch wie kulturell. Vielleicht ist der Mineiro introvertierter, in sich gekehrter, auch melancholischer als die als Ÿberschwenglich beschriebenen Bewohner Rios oder Bahias. Diese Mentalit?t spŸrt man vor allem auch in der Literatur, der Poesie und der Musik, die nachdenklicher und spiritueller ist. Schlie§lich ist Minas Gerais der kreative Lebensquell solch bedeutender Musiker wie Jo‹o Bosco und Milton Nascimento, in deren Tradition sich Rosanna & Z?lia auch verstehen.
Mit dem neuen Album "Cois‡rio" setzen Rosanna & Z?lia nun ihre Reise fort. Seit den Aufnahmen zu "Passagem" waren viele neue, interessante Erlebnisse und Erfahrungen zu verarbeiten. Tourneen und Festivalauftritte in Deutschland (darunter die "Ludwigsburger Jazztage" und die "Afro-brasilianischen N?chte" in TŸbingen), dem angrenzenden Ausland sowie in Kanada, der Austausch mit vielen interessanten KollegenInnen wie Carlinhos Brown, Maria Jo‹o, Noa, Sally Nyolo oder Badi Assad sowie Cooperationen mit dem Frankfurter Dance-«n«Trance-Spezialisten Shantel und dem zw?lfk?pfigen Fusionensemble Expedicion.
"Cois‡rio" wurde wieder zusammen mit Johannes Wohlleben im Tonstudio Bauer aufgenommen. Neben den konzerterprobten Bandmitgliedern, der Percussionistin und Schlagzeugerin Angela Frontera, dem dritten Bandmitglied, dem Bassisten Franco Petrocca und den von "Passagem" bekannten Studiog?sten Ernst Str?er und Dalm‡ Lima an Berimbau, Timba, Vase, Ag™go und Conga luden Rosanna & Z?lia diesmal weitere Musiker ins Studio ein - fŸr einen noch gr?§eren Klangfarbenreichtum und ein zus?tzliches, emotionales Ausdruckspotential.
"Cois‡rio" ist eine Wortsch?pfung des Meisterpoeten des magischen Realismus in Brasilien, Manoel de Barros. Es steht fŸr ein imagin?res Beh?ltnis, in welchem man alle sichtbaren, aber auch unsichtbaren, reale wie alle erfundenen und auch die noch nicht ersonnenen Dinge aufbewahrt und auch gemischt werden k?nnen. Dieses Prinzip l?§t sich auf Rosanna & Z?lias Art zu komponieren und zu texten, auf ihre Suche nach Kl?ngen Ÿbertragen. W?rter, T?ne, Bilder, GerŸche, GefŸhle, Tr?ume gehen in die Lieder ein.
"Strange, the feeling/You are our beginning and our end" - "Moldura" - dieser wundersch?ne, zum Ende hin von Streichern unterstŸtzte Schwebezustand formt sich langsam heraus aus der wellenf?rmigen Bewegung eines Besens Ÿber ein Schlagzeugfell und undefinierbaren Drone-Sounds und einem Rap-?hnlichen Erz?hlstil in der Strophe. "Povo do Lugar" ist an der Basis ein sehr afrikanischer Samba" mit sehr afrikanischen Grooves und Chorstimmen. Der beschwingte, optimistische Charakter steht im Kontrast zum Thema des Textes, der vom Konflikt zwischen "Erster" und "Dritter Welt" handelt, das Aufeinanderprallen von arm und reich, Intuition und Intellekt, Emotionalit?t und Rationalit?t. ...und die BŸcher lernen nie aus ihrer Geschichte." Als unerwartete Farbe Ÿberrascht in diesem Kontext Claudio Puntins Klarinette.
"My mixed heritage clouds and colours the view" - Synkretismus ist das Thema von "Cois‡rio de Imagens" mit seinen bizarren E-Gitarren- und Cello-Motiven und der Polyrhythmik aus Bai‹o-, Maracatu- und Congado-Grooves. (ein Hinweis auf die M?nnerstimme?) "C?u do Olho" ist pure Poesie und lebt von der Spannung, dem Kampf der Rose gegen das Feuer und die Vernunft. Howard Levys helle, klare Mundharmonika-Melodien fŸhren durch die Welt der WidersprŸche. "Vagalume" - der Rhythmus dieses leichten Maracatu wird vom dumpfen Klang von Dalm‡ Limas Vase mit ihrem Tabla-?hnlichen, aber eben nicht hohen, metallischen Klang bestimmt. "Augenlicht - Kerzenlicht - Blitzlicht fŸr die Nachwelt". "ïco da Paix‹o" ist ein Liebeslied mit dem sph?rischen Klang der Berimbau, den atmosph?rischen Keyboards und der spielerischen Stimme der Klarinette - ein komplexes wie kompaktes Klangbild - Sting h?tte es nicht besser arrangieren k?nnen.
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Ivan Santos« Komposition "Lady Multimelanc—lica" (nomen est omen) l?§t die Zuh?rer teilhaben an einer r?tselhaften Begegnung mit einer geheimnisvollen Sch?nen. Die magische Atmosph?re wird eingefangen und interpretiert von zwei au§ergew?hnlichen Stimmen, die hier aufeinandertreffen: der von Rosanna Tavares und der von Katharina Franck von den Rainbirds. Kontrabass und Bassklarinette verl?ngern die mysteri?se Stimmung. Sich selbst in einer anderen Kultur erkennen, ist das Thema von "Outras Margens" - der Xote-Rhythmus ist auf Kuba gelandet, "...ich hier in anderen Gefilden, schwerelos..." "Medida" ist eine Art Glaubensbekenntnis, Pl?doyer fŸr das Neben- und Miteinander der unterschiedlichen Kulturen, Sitten und Gewohnheiten. "Caj‡" ist eine balladeske Caetano Veloso-Komposition, davongetragenen von Kontrabass, Geige und Cello - "Ich h?re der Wind weht, Wellen, FlŸgel, Gras. Augenblick, Bewegung immer, jetzt in mir..."
"Jabuti" lebt von den pumpenden Kontrabass-Figuren und den Funky-Gitarren von Z?lia und Freundeskreis-Gitarrist Frank Kuruc, der hier solistisch gl?nzt. "Die Sch?ne ist«s, die die Kerzen anzŸndet, sagt sie betet, doch sie ist«s, die das Biest verfŸhrt..." Ein Lied Ÿber die t?gliche Versuchung. "Entre o P™r do sol e a noite" entl?§t mit somnambulen Stimmung in das Niemandsland, die Zeit zwischen Sonnenuntergang und Nacht, Ende und Anfang. "Ein Ku§ und die Kugel trifft ins Schwarze, sagt mehr als die gelebten Jahre..."
Auf "Cois‡rio" haben Rosanna & Z?lia ihre musikalische Vision noch konsequenter und homogener umgesetzt. Die Emotionalit?t der Musik, die intensive Interpretation und die charmante Performance wird ihnen neue H?rerkreise erschlie§en, die die Songs trotz Sprachbarriere verstehen werden. Denn es sind auch Reisen in Seelen- und GefŸhlslandschaften, die sich Ÿber Atmosph?ren und Klangfarben erfassen lassen.