treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

ART ENSEMBLE OF CHICAGO

GREAT BLACK MUSIC: ANCIENT TO THE FUTURE

"Tribute to Lester" : Das Art Ensemble of Chicago fasziniert mit einer seelenvollen Wanderung durch den Freebop. Inspiriert von der Musik Afrikas begegnet man Armstrong, Ayler, Blakey und gräbt bis zu den tiefsten Wurzeln des Blues. Feurige Percussion-Rhythmen und so mancher Abstecher in die europäische, klassische Musik, geben diesem Album zusätzlichen Reiz. Lester Bowie ist ganz bestimmt stolz, wenn er ‚von oben’ ein paar Stücke dieses ihm gewidmeten Albums vernimmt.
Famoudou Don Moye: drums, percussion
Roscoe Mitchell:  saxophone
Joseph Jarman:  saxophone
Jaribu Shahid: bass
Corey Wilkes:  trumpet
"Das Art Ensemble of Choicago bringt den Dschungel zum Swingen. Wenn der viel zu früh gestorbene Lester Bowie in sein Horn bließ dann hörte man Wasserbüffel rülpsen. Perfekter hat die Fusion zwischen Jazz und Afrika noch niemand vollzogen. "

Beinahe 20 Jahre sind vergangen, seit das Art Ensemble Of Chicago sein letztes ECM-Album veröffentlicht hat. Zwischen 1978 und 1984 nahm das damals zunächst noch fünf-, dann vierköpfige Art Ensemble Of Chicago für ECM vier Alben auf, die heute allesamt Klassiker sind: "Nice Guys", "Full Force", "Urban Bushmen" und "The Third Decade" erfreuten sich nicht nur bei Kritikern und Jazzfans immenser Beliebtheit, sondern werden auch von den Musikern selbst zu den besten Aufnahmen des Art Ensemble gerechnet.

Einen nicht zu unterschätzenden Anteil am Erfolg dieser vier Alben hatte auch ECM-Produzent Manfred Eicher, unter dessen Regie das Art Ensemble Of Chicago (oder kurz: AEOC) seine komplexen musikalischen Klangwelten erstmals in transparenter Weise aufnehmen konnte. Nie zuvor hatte man den Klangreichtum des Ensembles und die Nuancen seiner Musik so klar auf Platte wahrnehmen können. Nach einem denkwürdigen Konzert, das das Art Ensemble 1995 in der Quartett-Besetzung mit Lester Bowie, Roscoe Mitchell, Malachi Favors und Don Moye in München gegeben hatte, wurden neue Pläne für eine Zusammenarbeit mit ECM geschmiedet. (Der exklusive Plattenvertrag zwischen dem AEOC und dem japanischen Disk Union/DIW-Label hatte dies ein gutes Jahrzehnt lang nicht zugelassen.) Das erste Ergebnis dieser wieder aufgenommenen Kollaboration war Roscoe Mitchells 1997 aufgenommenes und preisgekröntes Album "Nine To Get Ready".

Mit dem Tod Lester Bowies (er starb am 8. November 1999) verlor das Art Ensemble seinen flamboyanten Frontmann, einen charismatischen Performer und einen der kreativsten Trompeter der gesamten Musikgeschichte. Mit seinen einzigartigen "unsauberen" Tönen, seinen Halbventil-Effekten, seinem breiten Vibrato und seinem anarchischen Humor erweiterte und bereicherte er das Vokabular des Jazz. Bowie, der kein Freund von falscher Bescheidenheit war, sah sich selbst als Glied einer Traditionskette, die bei Louis Armstrong begann und über Dizzy Gillespie, Miles Davis und Don Cherry bis zu ihm selbst führte. Keinerlei Verständnis und Sympathie hatte er für Musiker, die stur den alten Jazzstilen verhaftet waren und lediglich versuchten, diese originalgetreu nachzuspielen. Das Motto des Art Ensemble war stets "Ancient To The Future" gewesen: Dies sollte heißen, daß das Studium der Musiktradition dazu da war, die Musiker weiter nach vorne - in die Zukunft - zu bringen und nicht im Schlick der Tradition steckenzubleiben.

Mit  "Tribute To Lester" ehren die verbliebenen Originalmitglieder des Art Ensemble Of Chicago   ihren 1999 verstorbenen Freund und Kollegen.
Es ist unüberhörbar: Der Geist Lester Bowies lebt in der Musik des Art Ensemble Of Chicago weiter.


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Leben im Retro-Faschismus.
Ein Roundtable mit Famoudou Don Moye, Roscoe Mitchell und Jaribu Shahid vom Art Ensemble of Chicago
www.jazzthing.de

„Great Black Music“: ein Motto, aus dem die Sechziger sprechen. Kultureller Stolz, politischer Aktivismus, ökonomische Selbsthilfe. So etwa verstand sich die Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM), die sich 1965 um den Pianisten Muhal Richard Abrams gruppierte und die im Art Ensemble of Chicago ihre Vorzeigeband fand. Heute, zum 40. Jubiläum, feiert man auf Festivals schwelgend das AACM-Erbe. Aber was ist übrig von der politischen Schlagkraft der Alt-Avantgardisten, wollte Jazz-thing-Autor Johannes Völz wissen und traf die Art-Ensemble-Mitglieder Roscoe Mitchell, Famoudou Don Moye und Jaribu Shahid am Rande des Jazzfestivals in Guelph, Ontario, zum Roundtable-Gespräch. Eines steht nach diesem Interview fest: Auf Konfrontationskurs befinden sich die AACM-Legenden noch immer. Denn mit der Welt geht es rapide bergab.

Don Moye schlägt eine Links-Rechts-Kombination. Schattenboxen, direkt vor dem Gesicht des verdutzten Reporters. Der Drummer des Art Ensemble of Chicago hat vom Pressesprecher des Guelph Jazz-Festivals gerade erst vom Roundtable erfahren, das in diesem Moment beginnen soll. Dabei muss die Band doch eigentlich ins Hotel, dann proben, vorher noch die Instrumente holen und irgendwann auch noch essen. Was denn das Thema sei, knurrt er den Reporter an. „Wie bitte? Die politische Bedeutung der AACM heute? Ich bin schon seit 25 Jahren nicht mehr aktiv in der AACM“. Plötzlich wechselt er ins Deutsche, schleudert reihenweise Phrasen heraus: „Alles klar! Alles in Ordnung? Jetzt oder nie? Was soll das!“ Es ist nicht ganz klar, ob das ein Wutanfall ist oder ein Comedy-Act. Nein, er ist offensichtlich genervt.

Dabei ist seine Band der Headliner des kleinen kanadischen Festivals. Was nicht selbstverständlich ist. Denn nach dem Tod von Trompeter Lester Bowie und Bassist Malachi Favors Maghostut schien das Fortbestehen des Art Ensemble in den letzten Jahren ungewiss. Mittlerweile aber gehören der David-Murray-Bassist Jaribu Shahid und der Nachwuchstrompeter Corey Wilkes zum festen Line-up. Auch das Roundtable kommt schließlich zustande, kurz nach der Probe, im Restaurant. Trotz des erbitterten Widerstandes Don Moyes, der mit der Faust auf den Tisch haut, durchs Restaurant spaziert, Rhythmen auf die Tischkante trommelt und dazwischen das Ende der elenden Fragerei einfordert.

Bevor wir über die politische Bedeutung der AACM sprechen, sollten wir mit einem Missverständnis aufräumen. Die AACM als Dachorganisation und das Art Ensemble of Chicago als bekannteste AACM-Gruppe werden meist in einem Atemzug genannt. Aber für Sie als Musiker, die seit 40 Jahren versuchen, von Ihrer Kunst zu leben...

Roscoe Mitchell: „Versuchen“ ist schon mal falsch. Auch wenn uns Deutschland nicht mehr einlädt, können wir noch ganz gut überleben.

Geschenkt. Aber die AACM als Nonprofit-Organisation konnte Ihnen nur bedingt dabei helfen. Wie haben Sie im Einzelnen von der AACM profitiert?

Mitchell: Wir verfolgen die gleiche Strategie: Das Art Ensemble und die AACM setzen beide auf Kollaboration. Anders hätten wir nicht überleben können. Ich weiß nicht, welches Missverständnis es da auszuräumen gibt

Ich fragte nach der praktischen Seite…

Mitchell: Gut, dann lassen Sie es mich so erklären: Die AACM und das Art Ensemble sind wie Individuen. Das macht uns so phänomenal. Als wir 1969 nach Europa kamen, liefen wir unter dem Namen Art Ensemble. Aber wir trugen auch die Flagge der AACM. Sie versuchen, eine Spaltung herbeizureden, die nicht existiert.

Moment mal. Don Moye hat vor dem Interview erzählt, dass er seit Jahren kein aktives AACM-Mitglied mehr ist, und dass die AACM das Art Ensemble nicht mal für einen Gig engagieren könnte, weil sie Sie nicht bezahlen könnte.

Don Moye: Das lässt Sie wohl nicht mehr los, was? Wenn ich es schon vorhin erzählt habe, warum fragen Sie dann jetzt noch mal danach?

Journalstische Grundregel: Es war nicht Teil des Interviews, und es ist nicht auf Band.

Moye: Sie sollten sich so etwas merken können!

Noch mal meine Frage: Wie hat das Art Ensemble of Chicago von der AACM profitiert, ganz konkret?

Moye: Die Zusammenarbeit läuft eben vor allem konzeptionell, sie geht weit über das Ökonomische hinaus. Weil sowieso niemand Geld hat. Wir haben die AACM 40 Jahre lang finanziell unterstützt, die AACM musste jeden Dollar umdrehen. Daran wird sich wohl nichts mehr ändern.

Gut, reden wir über die konzeptionellen Gemeinsamkeiten. Im Zentrum steht der Gedanke, dass sich die Welt durch Kunst verändern lässt. Soweit stimmen wir überein, oder?

Mitchell: Stimmen Sie dem etwa nicht zu?

Doch, doch, verstehen Sie mich nicht falsch …

Moye: Wenn Sie zustimmen, warum fragen Sie dann nach?

Ich persönlich stimme zu, aber darum geht es nicht. Dieser Gedanke ist das Produkt…

Moye: Ich will den Essensgutschein zurück, denen ich Ihnen gegeben habe.

Noch mal, ganz in Ruhe: Dieser Gedanke ist ein Erbe der Sechziger. Ganz Amerika dachte damals so, nicht nur afroamerikanische Künstler. Auch Susan Sontag zum Beispiel…

Moye: …welcher Gedanke jetzt?

Na, dass sich mit Kunst die Welt verändern lässt. Ein paar Jahre vorher galt die Kunst noch als autonomer Bereich…

Moye: Das ist doch die Einstellung des reichen Mannes! Aber sorry, fahren Sie fort.

Hier die Frage, bitte: Dass Kunst die Welt verändert, war ein Gedanke aus der Gründerzeit der AACM. Seitdem ist dieser Ansatz schrittweise zurückgedrängt worden. Haben Sie das zu spüren bekommen?

Mitchell: Kunst ist das Leben. Das ist der Gedanke, von dem wir ausgehen. Für unsere Menschen galt das schon, als es noch kein Art Ensemble gab. Es gibt nur einen Ort, an dem sich die Kunst beweisen kann, und das ist bei den Menschen. Man kann die Kunst nicht einfach bei den Reichen abladen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sie antworten damit nicht auf meine Frage, ob…

Moye: …Sie haben schon wieder „verstehen Sie mich nicht falsch“ gesagt. Sagen Sie das nicht noch einmal! Konzentrieren Sie sich, junger Mann!
Shahid: Ich glaube, der Widerstand, nach dem Sie fragen, kommt heute nicht von einzelnen Personen. Es ist eher das kulturelle Klima.
Moye: Nein, das ist ganz falsch. Es ist die neue Macht des Faschismus und der Rückwärtsgewandtheit. Retro-Faschismus! Die Kulturpolitik ist am Ende. Nächste Frage! Wo ist überhaupt Ihre Liste mit Fragen? Legen Sie sie auf den Tisch!

Danke, lieber nicht. Was löste eigentlich den Enthusiasmus aus, als Sie 1969 nach Paris kamen? Lag das auch an Fans, die all ihre revolutionären Träume auf Sie projizieren wollten?

Moye: Das ist ja wohl totsaler Humbug. Die Leute haben unsere Musik geliebt, weil es bis dahin nichts Derartiges gab in Europa. Es hatte absolut nichts damit zu tun, dass sie eigentlich den Eiffelturm in die Luft sprengen wollten.
Shahid: Das FBI ist damals Trane hinterher gelaufen…
Moye: …die sind auch hinter uns her gewesen!
Shahid: …denn jedes Mal, wenn sie die Büros der Black Panthers durchsuchten, lief da Coltrane. Dabei war Coltrane doch der unpolitischste Typ überhaupt. Okay, seine Musik war revolutionär, und das ist per se politisch. Aber eine politische Einstellung macht keine Kunst interessant. Und das wusste Coltrane.
Moye: Gut jetzt, nächste Frage!

Mein Gott, haben Sie’s eilig!

Moye: Ja, los, los, wir wollen das Interview vor dem Essen hinter uns bringen.

Die AACM hat sich schon damals für kulturelle Selbsthilfe eingesetzt. Heute vertreiben etliche Musiker ihre Platten über das Internet. Sind die Gedanken der AACM im Mainstream-Jazz angekommen?

Mitchell: Nein, nicht wirklich. Die Musiker heute versuchen doch einfach berühmt zu werden, ohne das Handwerk zu lernen. Nur weil es das Internet gibt, kann man doch nicht einfach loslegen und irgendwelches Zeugs hochladen.
Moye: Genau, jeder kann heute eine CD aufnehmen. Das heißt doch nichts mehr. Bei einer CD sollte es eine wirkliche Nachfrage geben. Die Leute müssen das auch nach zehn oder zwanzig Jahren noch hören. Der Markt an Independent-Labels ist völlig überlaufen. Den Scheiß hört kein Mensch mehr in ein paar Jahren.

Das klingt sehr pauschal. Was ist mit Musikern wie Mark Turner? Er hatte einen Vertrag bei Warner, flog raus und experimentiert seitdem mit dem Vertrieb übers Internet.

Moye: Bei uns war jede CD ein ganzes Projekt. Wir machten eine Platte nicht, um Geld zu verdienen, sondern weil die Leute hören wollten, wo wir jetzt stehen. Das ist der Unterschied.

Bei der AACM ging Selbsthilfe mit dem Aufbau einer Community einher. Letzteres fehlt den meisten jungen Künstlern. Ist es das, woran sie scheitern?

Moye: Jeder muss sein eigenes Ding machen. Wir haben unsere Nische gefunden — Musik, die politisch, sozial und ökonomisch relevant ist. Das heißt ja nicht, dass sich nun jeder Musiker auf Selbsthilfe spezialisieren muss. Im Gegenteil — Selbsthilfe ist nur nötig, um zu überleben, und hat mit Community gar nichts zu tun. Wenn die Community kein Geld hat, musst du eben gucken, wie du weiterhin Musik machen kannst. Erst wenn du für dein Überleben gesorgt hast, kommt die Community ins Spiel.
Mitchell: Und die Community geht heute immer mehr verloren. Als Coltrane nach Chicago in unser Viertel kam, wollten ihn alle möglichen Leute nach Hause zum Essen einladen. Das macht niemand mehr heute. Stattdessen bekommen irgendwelche jungen Musiker Plattenverträge und man versucht, uns rauszuschmeißen. Was die Leute nicht kapieren: Wenn man uns rausschmeißt, schmeißt man auch die Zukunft raus. Denn das ganze substanzlose Zeugs wird sich nicht halten. Wir sind jetzt in einer Warteschleife: Wann kommt man auf uns zurück? Wann geht es endlich weiter?

Danke, lieber nicht. Was löste eigentlich den Enthusiasmus aus, als Sie 1969 nach Paris kamen? Lag das auch an Fans, die all ihre revolutionären Träume auf Sie projizieren wollten?

Moye: Das ist ja wohl totsaler Humbug. Die Leute haben unsere Musik geliebt, weil es bis dahin nichts Derartiges gab in Europa. Es hatte absolut nichts damit zu tun, dass sie eigentlich den Eiffelturm in die Luft sprengen wollten.
Shahid: Das FBI ist damals Trane hinterher gelaufen…
Moye: …die sind auch hinter uns her gewesen!
Shahid: …denn jedes Mal, wenn sie die Büros der Black Panthers durchsuchten, lief da Coltrane. Dabei war Coltrane doch der unpolitischste Typ überhaupt. Okay, seine Musik war revolutionär, und das ist per se politisch. Aber eine politische Einstellung macht keine Kunst interessant. Und das wusste Coltrane.
Moye: Gut jetzt, nächste Frage!

Mein Gott, haben Sie’s eilig!

Moye: Ja, los, los, wir wollen das Interview vor dem Essen hinter uns bringen.

Die AACM hat sich schon damals für kulturelle Selbsthilfe eingesetzt. Heute vertreiben etliche Musiker ihre Platten über das Internet. Sind die Gedanken der AACM im Mainstream-Jazz angekommen?

Mitchell: Nein, nicht wirklich. Die Musiker heute versuchen doch einfach berühmt zu werden, ohne das Handwerk zu lernen. Nur weil es das Internet gibt, kann man doch nicht einfach loslegen und irgendwelches Zeugs hochladen.
Moye: Genau, jeder kann heute eine CD aufnehmen. Das heißt doch nichts mehr. Bei einer CD sollte es eine wirkliche Nachfrage geben. Die Leute müssen das auch nach zehn oder zwanzig Jahren noch hören. Der Markt an Independent-Labels ist völlig überlaufen. Den Scheiß hört kein Mensch mehr in ein paar Jahren.

Das klingt sehr pauschal. Was ist mit Musikern wie Mark Turner? Er hatte einen Vertrag bei Warner, flog raus und experimentiert seitdem mit dem Vertrieb übers Internet.

Moye: Bei uns war jede CD ein ganzes Projekt. Wir machten eine Platte nicht, um Geld zu verdienen, sondern weil die Leute hören wollten, wo wir jetzt stehen. Das ist der Unterschied.

Bei der AACM ging Selbsthilfe mit dem Aufbau einer Community einher. Letzteres fehlt den meisten jungen Künstlern. Ist es das, woran sie scheitern?

Moye: Jeder muss sein eigenes Ding machen. Wir haben unsere Nische gefunden — Musik, die politisch, sozial und ökonomisch relevant ist. Das heißt ja nicht, dass sich nun jeder Musiker auf Selbsthilfe spezialisieren muss. Im Gegenteil — Selbsthilfe ist nur nötig, um zu überleben, und hat mit Community gar nichts zu tun. Wenn die Community kein Geld hat, musst du eben gucken, wie du weiterhin Musik machen kannst. Erst wenn du für dein Überleben gesorgt hast, kommt die Community ins Spiel.
Mitchell: Und die Community geht heute immer mehr verloren. Als Coltrane nach Chicago in unser Viertel kam, wollten ihn alle möglichen Leute nach Hause zum Essen einladen. Das macht niemand mehr heute. Stattdessen bekommen irgendwelche jungen Musiker Plattenverträge und man versucht, uns rauszuschmeißen. Was die Leute nicht kapieren: Wenn man uns rausschmeißt, schmeißt man auch die Zukunft raus. Denn das ganze substanzlose Zeugs wird sich nicht halten. Wir sind jetzt in einer Warteschleife: Wann kommt man auf uns zurück? Wann geht es endlich weiter?

Meinen Sie etwa HipHop?

Shahid: HipHop ist das beste Beispiel. Als HipHop noch aus dem Underground kam, war es eine sehr wertvolle Ausdrucksform, die viele Leute ansprach. Als es ein Produkt wurde, gingen die Plattenfirmen an die Straßenecken und schleppten irgendwelche Drogendealer ins Studio. Es sind die Plattenfirmen, die beschlossen haben, dass sich Texte über „Bitches und Hos“ am besten verkaufen. In diesem Moment ist HipHop für mich gestorben. Außerdem gibt es zu wenige Live-Musiker im HipHop.

HipHopper würden dem entgegen halten, dass Plattenspieler und Sampler auch Instrumente sind.

Shahid: Ich habe echte Probleme mit dem Sampeln. Die wenigsten kreieren aus ihren Samples originelle Collagen. Einfach einen Groove zu sampeln, den man nicht mal selber gespielt hat, und fertig ist das Stück, das ist zu billig.
Mitchell: Darunter leidet mal wieder das Handwerk der Musik. Selbst wenn ich die musikalische Idee eines anderen klauen will, sollte ich sie wenigstens selbst spielen können. Heute ist nicht mal mehr das nötig.
Shahid: Das ist die musikalische Fast-Food-Mentaliät.

Die AACM hat sich schon in ihrer Satzung von 1965 für die Pflege des musikalischen Handwerks ausgesprochen, gleichzeitig aber auf stilistische Offenheit gepocht. Die Formulierung lautete damals, man wolle ein Umfeld schaffen für „high artistic standards“. Was heißt das eigentlich für Sie?

Moye: „High artistic standards“? Wo soll das stehen? Das habe ich ja noch nie gehört.

Das steht so im AACM Mission Statement.

Moye: Ach.
Mitchell: Wir haben immer gesagt, dass die Kunst größer ist als wir alle zusammen. Unsere Definition ist deshalb so weit gefasst, weil wir alle möglichen Grenzen durchbrechen. Und genau dafür ist es heute Zeit. Die Welt wartet auf einen Super-Musiker — und nicht auf irgendeinen, der kopiert, was schon da war.

Es gibt heute fast keinen Musiker, der nicht mit Stolz darauf hinweist, dass er Grenzen durchbricht. Hat dieser Ansatz wirklich noch irgendeinen kritisierenden Wert?

Mitchell: Stimmt, es ist ein Klischee. Aber, Mann, diese Musiker können so lange reden wie sie wollen. Wenn sie dann auf die Bühne gehen und dieses Zeugs spielen, hört jeder, dass nichts daran neu ist. Und all die Großen reden sowieso nicht so dummes Zeug. Die sind mit ihrer Musik beschäftigt, nicht mit Reden.
Shahid: Musikalisch kann man gar keine Grenzen durchbrechen. Sie existieren ja gar nicht.
Moye: Die einzigen Grenzen, die man einreißen muss, sind die Köpfe der Kritiker!