Aus der Amazon.de-Redaktion
Palacio kommt aus Belize und seine Musik feiert eine Kultur namens Garifuna, in der einheimische traditionelle Arawak- und Carib-Klänge sich mit westafrikanischen Einflüssen, die während der dunklen Jahre des Sklavenhandels importiert wurden, wie in der Erbsubstanz einer Helix miteinander verkettet haben. Über die Jahrhunderte hinweg haben die Vertreter des stolzen, unabhängigen Volkes ihre Identität bewahrt, sogar als sie von europäischen Kolonialherren rücksichtslos von St.Vincent, wo sie sich nach einem Schiffbruch mit der lokalen Bevölkerung vermischt hatten, in Richtung zentralamerikanische Küste vertrieben wurden. Vor kurzem hat die Kultur den Boden unter den Füßen verloren, vor allem in Nicaragua - eine Tatsache, auf die Palacio aufmerksam wurde, als er das Land im Teenager-Alter besuchte. Sein leidenschaftliches Eintreten für sein Erbe begann mit dem Punta-Rock, ein Tanzstil, der mit Synthesizer und Drum-Maschine während der 1990er populär wurde. Auf dem aktuellen Album zeigt sich eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Eine Mischung aus einheimischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Elementen schafft sanfte, recht einfach gestrickte aber zugleich unvergessliche Melodien, während die feingesponnenen, hypnotischen Rhythmen, die teils im afro-kubanischen Clave verankert sind, jeden zum Tanzen bringen. Die Lieder werden ausschließlich in der Garifuna-Sprache gesungen und um Folklore wie das rituell gefärbte Dügü aufgebaut. Es gibt weit und breit keinen schwachen Moment, doch "Yagane", eine Seefahrermelodie, die vom siebzigjährigen Heiler Paul Nabor komponiert und gesungen wird, zählt zu den herausragenden Momenten, das Titelstück ist ein anderer.
AUDIO, März 2007
Palacio singt geschmeidig wie Youssou N’Dour, verpackt Afro-Rhythmen und Reggae-Parts mit lässiger Latin-Grandeza. Superbes Handwerk, sehr stimmungsvoll, mit "Graceland" und Santana-Bits (Claus Böhm)
Andy Palacio ist das Aushängeschild der Musikszene von Belize, einem winzigen Staat wischen Mexico, Honduras und Karibik. Seit gut zwanzig Jahren sorgt der begnadete Songwriter und Musikethnologe dafür, dass die reichhaltige Kultur seines afrokaribischen Garifuna-Volkes nicht in Vergessenheit gerät und das Gesicht der belizischen Musik sich stets verändert. Palacio's Sprache ist Igneri, der Dialekt seiner Vorfahren, seine Texte politisch und traditionsbewusst, seine Stimme rau und volkstümlich.
Von lässigem karibischem Off-Beat, spanischer Flamencogitarre, afrikanischen Trommeln und Response-Chören aufgefangen, verschmilzt die Musik zu einem eleganten und mitreißenden Klang, der positive Schwingungen zwischen Gospel-Flair und Reggae-Feeling, Melancholie und Lebensfreude verbreitet und durch das Herz in die Beine des Zuhörers wandert. Wer Andy Palacio und sein Garifuna Collective live erlebt hat, wird Belize, dieser Staat zwischen Mexico, Honduras und Karibik nicht so schnell wieder vergessen!
Andy Palacio
Weltkulturerbe aus Belize
Der Beginn der Geschichte lässt sich recht präzise datieren. Im Jahre 1635 erlitten zwei spanische Sklaventransporter Schiffbruch vor der Karibikinsel St. Vincent. Die westafrikanische Fracht konnte fliehen und wurde von der karibisch-indianischen Bevölkerung so freundlich aufgenommen, dass eine neue Volksgruppe entstand: die Garifuna. So jedenfalls lautet die am weitesten verbreitete und von den Garifuna selbst gestützte Darstellung. Zumindest ebenfalls überliefert und die Version untermauernd ist, dass die Inselbewohner gerne Feuerchen machten, um Schiffe auf die Sandbänke zu lotsen und dort die Ladung zur Deckung des Eigenbedarfs zu löschen - Wein und Musketen waren besonders begehrt. Die Besatzung wurde in der Regel nicht mehr benötigt. Heute, mehr als 370 Jahre später, ist Andy Palacio der bekannteste Vertreter der Garifunakultur.
Wein und Waffen, sie hängen unheilvoll zusammen. Ausgerechnet die Briten, nicht unbedingt der edlen Küche verdächtig, waren die ersten, die Flaschen verkorkten. Der Kork kam aus Spanien, der Wein ebenfalls. Wie man den Korken wieder aus der Flasche herausbekommt, wurde ebenfalls in Großbritannien herausgefunden, die hatten das Ding schließlich auch hineingesteckt. Fast zur selben Zeit, als die beiden Schiffe in der Karibik sanken, kamen britische Soldaten auf die Idee, eine Metallspindel, mit der feststeckende Geschosse aus Musketen geholt wurden, zum Entkorken von Weinflaschen zu nutzen. Den Korken konnte man fortan vollständig in den Flaschenhals drücken. 1795 wurde eine Weiterentwicklung als Korkenzieher zum Patent angemeldet. Der Krieg als Vater aller Sommeliers also. Beim Heraklit!
Ein neues Volk
Mit Korkenziehern brauchten sich die Inselbewohner aber anfänglich nicht herumzuschlagen, die gekaperten Schiffe brachten den guten Trunk gleich fassweise mit. Ob dies die Kopulationsbereitschaft förderte, ist nicht überliefert. Fest steht aber, dass die Garifuna (eigentlich im Plural Garinagu, während Garifuna eine Einzelperson oder die Sprache benennt - doch wir schließen uns hier der Praxis Andy Palacios an) zu einer eigenständigen Volksgruppe wurden, die sich lange Zeit erfolgreich gegen Unterwerfungsbemühungen der Franzosen, Spanier und Briten wehrte, nie versklavt wurde und sich deshalb ausbreitete. Mitte des 18. Jahrhunderts stritten diese Kolonialmächte um Besitzungen in Mittelamerika und der Karibik, mehrere Friedensverträge hielten nicht lange. Die Briten besiegten schließlich eine Allianz von Franzosen und Garifuna und siedelten letztere auf Inseln vor Honduras um, von wo aus diese mit spanischer Hilfe 1797 aufs Festland gelangten, ganze 2.250 Leute. Auf etwa 150.000 bis 200.000 Menschen schätzt man sie heute.
„In wissenschaftlichen Kreisen ist die Geschichte der Garifuna recht gut bekannt“, sagt Palacio. „Der Unterschied heute ist, dass mehr Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, auch dadurch, dass wir auf Tournee gehen und Platten veröffentlichen, die ein größeres Publikum ansprechen. Wir sind die Nachfahren von Afrikanern, die sich mit den karibischen Ureinwohnern und den Arawak-Indianern vermischten, lange bevor die Europäer dort anlandeten.