treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

ATARI TEENAGE RIOT

Es ist Musik aus anderen Zeiten, aus dem Berlin der 1990er, als Techno der alles bestimmende Sound war. Und doch auch wieder nicht und BRAND-aktuell.
Atari Teenage Riot, kurz ATR, nagelten damals zwei eigentlich unvereinbare Stile, ja Lebensentwürfe aneinander: Anarcho-Punk und Techno. Damit wurden sie zu Stars der alternativen Musikszene, auch weit über Deutschland hinaus. Dass sich das ausgeht – musikalisch, aber auch in Weltsichtfragen –, ist immer noch verwunderlich, aber es tut’s: Lautstärke auf 12, Verzerrer an, Hochgeschwindigkeitsbeats drunter. Und los geht der brüllende, tanzbare Soundtrack für die Gegendemo. Das könnte heute verdammt gestrig klingen: Techno ist Historie, Punk wird mittlerweile in den Kunstgalerien ausgestellt. Und auch die bequeme Einteilung in links und rechts ist inzwischen etwas, an das nur mehr die Elterngeneration glaubt.
Wäre da nicht noch eine dritte Komponente, die das neue ATR-Album "Reset" brandaktuell macht. Denn ATR – "Atari" verweist auf den ersten Computer, mit dem sie Musik machten – kommen aus einer Nerd- und Hackerszene, der zuletzt der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. In den 90ern glitt der Blick der Staatsmacht desinteressiert über all das, was online passierte. In den Winkeln des Internets ließ es sich leicht anarchistisch aufbegehren, hier durfte sich der Machtloseste stark und sicher fühlen. Die Staaten glaubten damals an den rechtsfreien Raum Internet, und niemand hat ihnen verraten, dass das nicht stimmte.
ATR waren in dieser Wild-West-Zeit des Internets, vor dessen Durchdringung durch die Geheimdienste und Großkonzerne, dabei. Inzwischen aber gibt es wohl kaum einen Ort, wo man der Überwachung hilfloser ausgeliefert ist als online. Und die Internetfirmen sind die reichsten der Welt. Der Computer ist zur "Death Machine" geworden, das Internet zum Machtorgan. Und das ist für ATR ein Problem, gegen das es auf dem neuen Album aufzubegehren gilt. Es ist ein neues "Anti-" zum -faschismus und -kapitalismus gekommen, dem zwar noch der griffige Name fehlt (Anti-Überwachung?), das aber schon mal lautstark in die Welt gebrüllt gehört. Selbst die Hacker sind technologiekritisch geworden. Und die wichtigste Gegendemo findet heutzutage online statt. Ihr Soundtrack: "Reset".

DIE ZEIT:  Brüllen gegen den Lärm unserer Zeit

Atari Teenage Riot aus Berlin ist die Band der kritischen Nerds, der digitalen Linken.
Seit den Neunzigern wird sie im Ausland verehrt, jetzt erscheint das Album "Reset".

Manchmal, so scheint es, ist Krach die einzige Lösung.
Von Geburt an bis zur Bahre verschafft der Mensch sich schließlich immer dann gern in oberen Dezibel-Lagen Gehör, wenn niedrige überhört werden, ignoriert, gar unterdrückt. Wenn die guten Argumente, klugen Gedanken, all die feinen Zwischentöne im Lärm ringsum verrauchen wie Elternworte in Kinderohren. Kurzum: Ist es zu laut für Besonnenheit, wird eben aufgedreht, hochgepitcht, losgebrüllt. Hyper Hyper! Lügenpresse! Kauf mich! Arschloch! Meistens drehen, pitchen, brüllen ja die geistig Schlichten. Und wenn die geistig weniger Schlichten umso lauter dagegenhalten, klingt es dann doch irgendwie anders.

Zum Beispiel so: "Your mind is a weapon/so don't waste more time". Aus baumhohen Boxentürmen geblasen, ist auch hier nicht unbedingt das Vokabular sittsamer Debattierclubs zu erkennen. "Doch wir brüllen ja nicht, um die lautesten zu sein", erklärt Alexander Wilke-Steinhof, bekannter als Alec Empire, derlei Zeilen seines neuen Albums, "sondern um die volle Aufmerksamkeit zu bekommen". Die ist seiner Band auch diesmal wieder gewiss. Sie heißt Atari Teenage Riot, kurz ATR, und zählt international zu den Verkaufsschlagern des Exportweltmeisters Deutschland, dessen musikalisches Angebot außerhalb der Landesgrenzen bekanntlich sonst nicht so erfolgreich ist.

Das Berliner Projekt mit wechselnden Gastmusikern hingegen genießt seit seiner Gründung vor 23 Jahren selbst im angloamerikanischen Sprachraum höchste Reputation. Nicht im Mainstream, versteht sich, eher am Rande der alternativen Nische, dort aber widerfährt ihr größtmögliche Ehrerbietung. Und dafür gibt es drei Gründe. Der eine hat mit besagter Lautstärke zu tun, einem Energiezustand von größter Dringlichkeit, der die Kakophonie der Aufmerksamkeitsindustrie gleichsam unterwandert und übertönt. Der zweite handelt von einer Technikgläubigkeit, die nicht blindlings, sondern angemessen kritisch erfolgt. Und dann wäre da noch die Sache mit der Politik. Schwieriges Thema, besonders auf dem Feld des technoiden Sounds.


Den nämlich hat der bekennende Anarchist Alec Empire gemeinsam mit der singenden Programmiererin Nic Endo in die linke Szene importiert, die Mitte der Neunziger vom Techno partout nichts hören wollte. Zur neonbunten Blüte drogenblöder Raves im Strobogewitter galt der als zu hedonistisch für den Kampf gegen die Fesseln der autoritären Konsumgesellschaft. Doch dann kamen ATR, schrien zu stampfenden 200 beats per minute linksradikale Parolen von Revolution – Action bis Deutschland Has Gotta Die in Richtung Moshpit, nannten ihre breakcorebefeuerten Botschaften Digital Hardcore, und plötzlich schien er wahr zu werden: Empires Traum von einer libertären Bewegung, die zum Umsturz tanzt, anstatt ihn stocknüchtern herbeizurufen.

Doch wie gesagt: Es schien bloß so.

Denn ausgerechnet soziale Netzwerke, moderne Kommunikationsgadgets, das Internet, all jene Techniken also, die auch ATR als Vehikel der Emanzipation von staatlichen und kapitalistischen Zwängen feierte, wenden sich längst gegen den Freiheitsdrang der User. Auch im Feiermodus kam die Revolte zudem nicht so recht voran. Und dann zeigten sich selbst die hyperurbanen Stilikonen Empire/Endo irgendwann nicht mehr gefeit vor ganz gewöhnlichen Alterungsprozessen. Also drücken sie mithilfe des amerikanischen Rappers MC Rowdy samt seines britischen Kollegen Street Grime auf Neustart und nennen ihr fünftes Album nun genau so: Reset.

Dabei gehen die zehn neuen Tracks nicht stur zurück auf Los, sie blicken zugleich aus der Gegenwart nach vorn. Das Auftaktstück J1M1 zum Beispiel erinnert mit seinen Orgelpeitschen zu wüsten Gitarrensamples musikalisch an die Neunziger, als ATR eine Brücke vom erbosten Industrial übers legendäre Detroiter Ur-Technolabel Underground Resistance hin zum aussagefreudigen Hip-Hop schlugen. Inhaltlich hingegen rappt Alec Empire eher im beschleunigten Kammerton soziokultureller Diskurse, als im gewohnten Stakkato plakativer Phrasendrescherei. Mehr Struktur, weniger Gabba, sprachlich befreit vom Parolenhaften früher Tage – "die Leute haben eben mittlerweile Zugriff auf so viele Informationen, dass man uns nicht auf jeder Demo gleich verstehen muss".

Dennoch bleibe die "DNA der Band", wie er es ausdrückt, unangetastet: Tanzflurvermittelter Antifaschismus/sexismus/kapitalismus aus den Tiefen einer Hackerszene, der ATR gerade zum 30. Kongress des Chaos Computer Clubs die Eröffnungshymne komponiert hat. Warnende Worte vor Überwachungsstaat und Konzernherrschaft im langehegten Wissen um die dunklen Mächte von Google bis NSA, ohne in den Alarmismus einer Mad-Max-Dystopie zu verfallen, "weil wir die Dinge schon noch im Griff haben". Eine Art kulturpessimistisches Jetzt-erst-recht also, das die Hörer nicht mehr selbstgerecht anschnauzt, sondern selbstkritisch informiert. Das Ganze wie in den 23 Jahren zuvor verrührt zu einer intensiven Performance, die dem Publikum politisch bewusst das Wasser aus den Poren treibt wie sonst allenfalls Rage Against The Machine.

Nein, eine endgültige Lösung bietet auch der distinguiertere Krach von Resetnicht an. Doch im Lärm des geistig Schlichten ringsum ist diese Platte immerhin ein belastbares Ventil. Gut gebrüllt, Alec.

 

LAUT.DE-BIOGRAPHIE
 

Gegen Ende der Achtziger fand die boomende Acid-Welle auch ihren Weg nach West-Berlin. Alec Empire, damals Mitglied der Berliner Punk-Band "Die Kinder", bewegte sich fast ausschließlich in Punkkreisen, beobachtete aber, dass diese Szene immer unpolitischer wurde. 1988 kam er das erste Mal mit Acid House in Kontakt und war sofort von dessen Unkonventionalität begeistert. Empire begann als DJ aufzulegen und veröffentlichte bis 1991 zwanzig Eps und zwei Alben.

Während dieser Zeit lernte er Carl Crack und Hanin Elias kennen, die auch beide in der Berliner Technoszene aktiv waren. Alle drei verband der tiefe Hass auf die Wandlung des einst so alternativen Techno in eine Mainstreamkategorie, die es schon in die CD-Regale der Supermärkte geschafft hatte. Man beschloss 1992 eine neue Band names Atari Teenage Riot zu gründen, deren Ziel es war, eine völlig neue Musikrichtung zu kreieren, die es schaffen sollte, die selbe Aufregung zu versprühen, die alle drei Bandmitglieder gespürt hatten, als sie das erste Mal Punk, Hip Hopoder Techno hörten. Das Ergebnis war eine Art Krach-Techno, von den Kritikern zwar groß gefeiert, für den Normalo aber eine kaum auszuhaltende Qual für die Ohren. "Noise ist der Schlüssel- das Leben ist voll von Noise- nur der Tod ist ruhig" (Alec Empire).

Das politische Statement war außerdem ein wichtiges Ziel der Band. "Bei Atari Teenage Riot geht es darum, gegen das politische System in dieser Welt anzukämpfen. Wir sind da um die von den Medien und der Unterhaltungsbranche vorgetäuschte Harmonie zu zerstören", schreibt Alec Empire in der Philosophie der Band. Eine neue und aufregende Musik sollte also die Massen aufmerksam machen und dabei als politisches Sprachrohr dienen.

Im Jahre 1992 wurde dann auch die erste Single "Hetzjagd auf Nazis" auf dem Indielabel Force Ink. veröffentlicht. Es folgen Supporttouren auf der ganzen Welt u.a. für die Nuschelgesanglegende Dinosaur Jr.. Bald wurde auch das englische Label Phonogramm auf die Band aufmerksam. ATR nutzten die Chance und brachten unter Phonogramm zwei Eps und eine 12"-Single auf den Markt. Als das Label die Band aber zu einem kommerziellen Act machen möchte, krallen die Berliner sich den Vorschuss für ein geplantes Album und gründen damit ihr eigenes Label "Digital Hardcore Recordings" auf dem sie 1995 auch hier erstes Album "Delete Yourself" veröffentlichen.

Auch in Amerika machte die neue Musik Furore und so klopfte 1996 der Chef des Beastie Boys Label "Grand Royal" Mike D. an - man unterzeichnete einen Vertrag. Über Grand Royal werden einige 7inches von ATR und anderen Digital Hardcore Recordings Acts weltweit released. Darunter befindet sich auch die Skandal-Single "Deutschland Has Gotta Die".

Ein Jahr später kommt das neue Album "The Future Of War" auf den Markt und Atari Teenage Riot entwickeln sich zum weltweit gefragten Act. Zusammen mit Slayernimmt man für den Spawn-Soundtrack den Song "No Remorse (I wanna Die)" auf, und von Rage Against The Machine wird man als Support für ihre US-Tour eingeladen. Was man verständlicherweise sehr gerne annimmt. Ende des Jahres stößt dann noch Nic Endo zur Band, die bereits bei Digital Hardcore Act Fatal zu Gange ist.

1999 trennt man sich wieder von Grand Royal und released wieder über das eigene Label das neue Album "60 Seconds Wipe Out". Auf der dazugehörigen Tour darf man zwischendurch als Vorgruppe von Nine Inch Nails auf die Bühne und beendet diese Tour mit einem Konzert in der London Brixton Academy, welches 2000 als Live Album in den Läden steht. Auf der CD befindet sich allerdings nur ein 26 Minuten langer Track, der mit dem Worten 'endloser Krach' bestes beschrieben ist. Nach Beendigung der Tour im März 2000 gab es große Differenzen zwischen der Band und MC Carl Crack, der schon seit längerem unter psychischen Problem litt. Crack kündigt an, sich längerfristig in psychische Behandlung zu begeben. Atari Teenage Riot beschließen, die Band für ein Jahr ruhen zu lassen. Im September 2001 findet man Carl Crack tot in seiner Wohnung.....