die ZEIT
feulleton
28.7.2005
Freies Schweben
Zum Tode des Jazzmusikers Albert Mangelsdorff
Von Michael Naura
Einer der großen Musiker unserer Zeit ist tot. Der Posaunist Albert Mangelsdorff starb am 25. Juli dieses Jahres in der Frühe des Morgens. Er wurde 76 Jahre alt. Wir, die jungen Jazzer der Republik, nannten ihn zärtlich »der Albert«. Er war unser Über-Ich. Er war die sanfte Autorität par excellence. Als Musiker ein Genius, als Mensch vorbildlich.
Nicht immer gibt es diese Kongruenz von künstlerischem Niveau und charakterlicher Größe. Was hab ich, vor allem im Lager der E-Musik, an Solisten erlebt, die mich fragen ließen: Wie kann diese Kanaille so ergreifend Bach spielen? Der frei schwebende Posaunist Mangelsdorff lebte seit 1957 in der Innenstadt von Frankfurt am Main. Seitdem ging er schon morgens nach dem Frühstück in den Jazzkeller in der Bockenheimer Straße. Er stieg hinab in dieses Musikloch, packte seine Posaune aus, stellte sein Metronom auf und fing an zu üben. Buup-Buup-Baba-Buup!
Um ihn herum lag noch der Dreck der letzten Nacht. Albert hielt Töne aus, spielte Tonleitern, probierte was Neues aus. Albert Mangelsdorff hatte einen gewaltigen Hunger auf musikalische Abenteuer. Er hatte anarchistische Züge. Gleichzeitig war er jemand, der Kindern Sahnebonbons schenkt. Freunde nannten ihn »Sankt Albert«. Sie meinten damit das Integre, das Nichtkäufliche des Musikers, der von sich sagte: »Ich bin ein freischwebender Künstler.«“ Nur einmal hat er diesen Zustand verlassen. Das war vor vielen Jahren, als er sehr verliebt war. Der gestrenge Herr Schwiegervater wollte dem jungen Mangelsdorff seine Tochter nur zur Frau geben, wenn dieser eine feste Anstellung vorweisen könne.
Und so begab sich Albert der Liebe wegen zwei Jahre lang in die Tretmühle des Funkorchesters von Willy Berking. Ergebnis: Ehe kaputt – und die Erkenntnis, dass Dienst nach Stundenplan Kreativität ausschließt. Lieber die Achterbahn eines Jazzmusikerdaseins als die psychosomatische Störung mit Pensionsberechtigung in einem deutschen Funkhaus, sagte sich Albert Mangelsdorff. Er hat Recht behalten. Inzwischen ist Albert eine geschichtliche, eine lexikale Größe. Selbst Musiker aus der Sinfonik verneigen sich vor ihm.
Die Frage, warum good old Albert so viel gearbeitet, ja malocht hat, von Konzert zu Konzert, von Workshop zu Workshop, führt ins Innerste seines Wesens. »Da ist nichts mehr nach dem Tod«, sagte er, und schon war er auf dem Sprung zum nächsten Auftritt. Keine Zeit für seine geliebten Spaziergänge im Wald, wo er Vogelstimmen auf Band aufnahm, die er später auswerten wollte. Er hörte in allen Tönen sozusagen nur seine Posaune oder Klänge von Musikern, denen er zufällig begegnete. Eines Tages hatte ihn der Dämon Arbeit in die DDR verschlagen. Nach seinem Konzert näherten sich ihm zwei Burschen. »Wir gratulieren Ihnen zum Geburtstag, Herr Mangelsdorff«, sagten sie. Der Meister fiel aus allen Posaunen-Wolken. Vor lauter Arbeit hatte er den Geburtstag vergessen.
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frankfurter allgemeine
26.7.2005
Zum Tode von Albert Mangelsdorff
Von Harald Budweg
26. Juli 2005 Zur Musik finden Menschen meist durch ein Schlüsselerlebnis. Wer selber als Laie ein Instrument bedient, wird einmal erleben wollen, wie professionell ein berühmter Star das Werk des geschätzten Komponisten interpretiert. Wurde es auch noch ein großer Abend, wird der neu gewonnene Musikfreund dieser Kunst wahrscheinlich zeitlebens verfallen sein.
Im Jazz, so scheint es, funktioniert die „Einstiegsdroge” auf einer gefühlsmäßig intensiveren, weit weniger individualistischen Ebene. Es gibt nicht wenige, die als ihr Schlüsselerlebnis für die zeitlebens wirksame Liebe zum Jazz ein fundamentales Musikerlebnis der Berliner Jazztage 1976 schildern: Auf dem Programm eines unvergessenen Jazzabends in der dortigen Philharmonie stand ein „Triologue”, der den damals schon im Zenit seiner Improvisationskunst stehenden Posaunisten Albert Mangelsdorff mit dem Bassisten Jaco Pastorius und dem Schlagzeuger Alphonse Mouzon zusammenbrachte. Pastorius, zu dieser Zeit ein genialer junger Hitzkopf von 24 Jahren, der schon 1987 gestorben ist, hat in faszinierender Weise dem E-Baß neue Seiten abgewonnen. Wie nun Mangelsdorff, sichtlich angesteckt von der Experimentierlust des 23 Jahre jüngeren Kollegen, mit diesem kommunizierte, wie dieser zum „Triolog” mit Mouzon erweiterte Musizierwille spielerisch Gestalt annahm, verriet viel über den Menschen und Musiker Albert Mangelsdorff, den viele Jazzfreunde so sehr verehrten.
Integrations- und Innovationskraft
In der Tat gibt es wohl kaum einen Musiker, der so unmittelbar in einem Atemzug mit dem Stichwort „Jazz” zu nennen wäre wie Albert Mangelsdorff, der am Montag im Alter von 76 Jahren nach längerer schwerer Krankheit in seiner Heimatstadt Frankfurt gestorben ist. Wie kein zweiter auch hat Mangelsdorff Deutschlands Ruf als Jazzland gefestigt. Wenn Frankfurt in der Vergangenheit zumindest zeitweilig als deutsche Jazzhauptstadt hat gelten dürfen, so hing das wesentlich mit Mangelsdorffs Integrations- und Innovationskraft als Musiker und Initiator zusammen.
Albert Mangelsdorffs älterer Bruder Emil hatte ihm einst den Jazz nahegebracht. Albert war damals zwölf, die Nationalsozialisten waren an der Macht und Jazz als „Negermusik” verboten. Albert lernte dennoch ein Instrument: die Gitarre. Erst nach Kriegsende wurde die Posaune sein zentrales musikalisches Ausdrucksmittel. Schon bald wurde er zum Newport Jazz Festival eingeladen. Doch der damals auch in Deutschland vorherrschende Stilimport aus Amerika war seine Sache nicht: Albert Mangelsdorff kreierte fortan eine eigene Kunst.
Klangerlebnis von sinnlicher Natur
Legendär wurde er in den sechziger Jahren mit der Kunst, die Spielweise seines Instruments zu revolutionieren. Seine als „Multiphonics” in die Fachwelt eingegangene neue Technik verbindet Singen und Blasen mit einer speziellen Atem- und Ansatztechnik in der Weise, daß ein besonders obertonreiches Klangspektrum entsteht. Das mag in dürren Worten noch so abstrakt klingen - das Klangerlebnis ist allemal von sinnlicher Natur. Im Zusammenwirken mit Pastorius' Experimenten, das Klangspektrum seines E-Basses in unglaublich anmutender Weise zu erweitern, und mit Mouzons Drumming-Effekten ergab sich 1976 das Faszinosum des noch heute in Jazzkreisen zuweilen erwähnten „Triologs”.
Doch wofür Jazzfreunde in aller Welt ihn bewundert haben, das war nicht nur seine immense instrumentale Kunstfertigkeit und das hohe musikalische Niveau seiner Klangschöpfungen. Es war vielmehr auch die menschliche Größe, für die wir alle - ein oft gehörtes Wort - „unseren Albert” liebten: gewiß nicht nur in Frankfurt, wo man den Musiker zuweilen ganz nonchalant um die Ecke biegen sehen konnte. Albert Mangelsdorff war der Prototyp eines unprätentiösen, bescheiden und kollegial wirkenden Künstlers ohne jegliche Starallüren. Auch im Umgang mit viel weniger berühmten Kollegen als Pastorius und Mouzon oder dem Lieblings-Duopartner Wolfgang Dauner hat Mangelsdorff nie den Solisten herausgestellt - schon gar nicht in der Weise, wie eine männliche Primadonna assoluta alles und jeden an die Wand zu spielen. Die tiefempfunde Kollegialität hingegen war es, das von Jazzfreunden wahrgenommene und geschätzte Erlebnis, Partner im Zusammenspiel konzeptionell aus der Reserve zu locken und mit ihnen zu dialogisieren: Das hat bei Jazzfestivals die treue Fangemeinde immer wieder von Neuem zusammengeschweißt.
Die Stadt Frankfurt hat ihren großen Sohn mit der Goethe-Plakette und dem Frankfurter Musikpreis geehrt. Viel früher schon hatte man in Albert Mangelsdorff den geeigneten Kulturbotschafter erkannt in einer Zeit, in der Völkerverständigung zu einem wichtigen Instrument der Politik werden sollte. Schon früh organisierte das Goethe-Institut Asien-Tourneen. Mit den „Frankfurt All Stars” nahm Albert Mangelsdorff am ersten Nachkriegs-Kulturaustausch mit Polen teil. Daß seine unerschöpflich scheinende Kraft einmal nachlassen könnte, hat sich noch vor wenigen Jahren niemand vorstellen wollen. Natürlich lebt Albert Mangelsdorff noch lange - in uns.
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SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
26.7.2005
Tschüs, Albert
Der Posaunist Albert Mangelsdorff ist tot.
Ein Mann und eine Posaune. Mehr nicht. Kann man sich einen anderen vorstellen, der ein abendfüllendes Programm nur mit einer Posaune bestreitet? Aber Albert Mangelsdorff war nicht deshalb Deutschlands bedeutendster Jazz-Musiker, weil er das konnte. Weil er auf einem Blasinstrument mehrstimmig spielen konnte.
Sondern weil er ein unglaublich schöpferischer Mensch war – einer der wenigen echten Innovatoren des Jazz.
Auf einer Platte des von ihm mitgegründeten United Jazz&Rock Ensembles gibt es ein Stück des Bassisten Eberhard Weber namens Alfred Schnack. Es ist – nach einer freien Einleitung durch den Bläsersatz - genauso glatt und schleimig wie der Name es suggeriert, aber Mangelsdorff spielt ein Solo darüber, das so fern von allen ausgetretenen Skalen-Pfaden und dennoch so passend ist, dass einem nur noch die Allergrößten zum Vergleich einfallen.
Und man braucht nur einige wenige Töne zu hören und erkennt ihn sofort. Dabei war niemand weniger manieriert oder eitel als Mangelsdorff.
„Man muss täglich üben, damit man weiß, was man tut“, hat er einmal gesagt. Um all das spielen zu können, was einem einfalle, müsse man sich seiner Sache sicher sein, sonst verfalle man in eingelernte Routine-Licks wie die meisten seiner Kollegen.
Seine Karriere als Berufsmusiker begann Mangelsdorff 1947 als Rhythmusgitarrist in der Otto-Laufner-Bigband, die vor allem in den Clubs der US-Army spielte. Erst mit zwanzig Jahren wandte er sich endgültig der Posaune zu. Sehr wichtig für seine musikalische Entwicklung waren Aufenthalte in den USA, beginnend mit dem Auftritt beim Newport Jazz Festival.
Mit Beginn der 60er Jahre war Mangelsdorff zu einer international beachteten Jazz-Größe geworden. Er hatte sich eine derart fulminante Technik erarbeitet, dass er selbst von den Amerikanern als wichtigster neuer Instrumentalist bezeichnet wurde. Mangelsdorff entwickelte einen immer freieren, abstrakteren Umgang mit der Improvisation und wandte sich Ende der 60er Jahre dem Free Jazz zu.
Ab Anfang der 70er Jahre wandte sich Mangelsdorff verstärkt dem Solo-Spiel und wieder dem klassischen Jazz mit Melodie und Rhythmus zu. 1972 nahm er seine erste Solo-Platte "Trombirds" auf.
Im gleichen Jahr gab er, anlässlich der Olympischen Spiele in München, ein viel beachtetes Solokonzert. 1975 wurde Mangelsdorff zudem festes Mitglied im United Jazz + Rock Ensemble, dem er bis zu seiner Auflösung Ende 2002 treu blieb.
1993 wurde Mangelsdorff zum Honorarprofessor für Jazz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt ernannt. 1995 übernahm er zudem für sechs Jahre die künstlerische Leitung des Jazzfests Berlin, vernachlässigte dabei aber weder seine Arbeit als Künstler noch das tägliche, mehrstündige Übepensum.
Am Montag ist Mangelsdorff in seiner Heimatstadt Frankfurt im Alter von 76 Jahren gestorben.
Ein Mann und eine Posaune. Mehr nicht. Nicht mehr.