Es ist ein Reise. Der True Spirit übt eine Faszination aus, die nicht beruhigt, sondern eine magnetische Beschwörung einer dunklen Gefahr ausübt. Musik von der wilden Seite der Straße – oder besser: wie blind durch eine Kriegszone zu gehen…“
(Gianluca Testani, Mucchio Selvaggigo)
Wie oft haben wir versucht, der mehr oder weniger geneigten, musikalisch u. U. durchaus interessierten Weltöffentlichkeit zu erklären, dass dieser Mann gehört werden muss. Weil er eigen ist, seinen eigenen Stil kultiviert hat. Weil seine Musik besonders ist. Zwar hat uns die Welt diesbezüglich offensichtlich in den vergangenen Jahren nicht recht zugehört, aber das ist kein Grund, es nicht weiterhin hinauszuposaunen: Hugo Race & True Spirit stehen für fantastische, knietief im Leben stehende und doch oft merkwürdig entweltlichte Musik. Auf „53rd State“ wird dies besonders deutlich. Hugo und seine Mannen haben Frieden geschlossen mit sich, mit ihrer fordernden Kratzbürstigkeit, mit ihren Experimenten, mit ihren Soundvisionen. Sie vollbringen hier ein Destillat, das schlicht beeindruckend tönt. Vordergründig sanft, einnehmend – und doch hintergründig und ernst. Der vielleicht größte Wurf in der an großen Würfen nicht eben armen Karriere des kosmopolitischen Existenzialisten. Noch mal: Welt, höre!!!
“53rd State”
53rd State ist eine große Platte. Thema und Klangdichte sind groß, die sie durchströmende Leidenschaft ist groß. Es ist... jawohl... Soul Music, gefiltert durch eine über Jahre entwickelte Pop-Sensibilität und ausgeführt durch eine hoch innovative Band. Durchzogen mit elektronischer Psychedelik, geführt von Hugo Races einzigartiger Stimme, seinen aufreizenden , inspirierenden Texten. Hugo und sein dreikontinentales Kollektiv True Spirit beherrschen Form, Inhalt und musikalische Vision.
Die Unmittelbarkeit und der Schwung von „53rd State“ sind vergleichbar mit seinen früheren Alben wie „Taoist Priests“ und „Ambuscado“, das Album kündet von hoher Energie, von halluzinogenem Sog.
Neu aber: Hugos Songwriting steht im Mittelpunkt, verschafft sich ebenbürtigen Platz neben den Soundvisionen des True Spirit.
Unter anderem im 53rd State aktiv: Melbourne’s Soteria Bell, deren eindringlich harmonische Anmut den Eröffnungssong adelt. „We Create Tomorrow“. Aboriginee-Aktivist und Geschichtenerzähler Larry Walsh erzählt die abschreckende urbane Story von „I Wonder“ („In Black Circles“). Silver Ray’s Julitha Ryan begleitet die schöne apokalyptische Ballade „Before The Flood“. Marta Collica (von Sepiatone und The John Parish Band) als Duettpartnerin im soulgeschwängerten „When Midnight Comes“. Und schließlich Violetta Del Conte Race im Acid-durchflutenen Dub von „Sodium Rum“, ebenso aus der Zeit gefallen wie die psychedelische Bearbeitung von Lee Hazelwood’s Klassiker „Sand“.
Den Kern von The True Spirit bilden unverändert: Chris Hughes (Schlagzeug, percussion, Electronics), Michelangelo Russo (Blasinstrumente, Electronics, Gesang), Bryan Colechin (Bass, Gesang) und Nico Mansy (Keybords, Gitarre, Electronics). Außerdem auf verschiedenen Tracks mit Bass und Gesang vertreten: Giovanni Ferrario (Micevice).
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We are naked, we are raw
Der australische Multi-Instrumentalist Hugo Race, einst Gründungsmitglied von NICK CAVE & THE BAD SEEDS, ist ein klassischer Kosmopolit, musikalisch wie geografisch. Seit den 80er Jahren arbeitete und lebte er unter anderem in den USA, Deutschland, Frankreich und zuletzt am Fuße des Ätna auf Sizilien. Anfang der 70er zog Hugo Race mit seinen Eltern nach Melbourne, knüpfte früh Kontakt zu Nick Cave, gründete PLAYS WITH MARIONETTES (1982-83), war präsent auf einigen Alben von NICK CAVE & THE BAD SEEDS und rief mit THE WRECKERY (1985-88) eine der wirklich prägnanten australischen Postpunk-Bands (mit Swamp Rock-Einschlag) ins Leben. Hugo Race setzte diese Tradition mit der kongenialen Unterstützung von Ralf Droge (der auch bei CRIME & THE CITY SOLUTION spielte), Alexander Hacke, Mick Harvey, Rainer Lingk (DIE HAUT), Chris Hughes und John Molineux als den ersten Mitstreitern bei HUGO RACE & THE TRUE SPIRIT fort.
Bis heute hat sich die Besetzung der Band verändert sowie die Facetten dessen, was Race unter Swamp Rock, Blues und elektronischen Einflüssen in seiner Musik subsumiert. Kontinuierlich experimentiert er mit Loops, Steel-Gitarre und Sequenzern. Auf den Alben "Goldstreet Sessions" (2003) und "Ambuscado" (2005) werden blueslastige Dubsequenzen mit spirituellen Anleihen verknüpft, während das Album "Taoist Priests" (2006) mit teilweise politisch geprägten Inhalten eher introspektiv ist. Hugo Race reflektiert hier unter anderem die Geschichte von John Walker Lindh, einem Nordamerikaner, der als Taliban-Kämpfer nach Afghanistan ging und dafür von einem US-Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt wurde. Zuletzt lebte Hugo Race in Catania auf Sizilien: Race bekennt offen, dass Italien einen signifikanten Einfluss auf seine Lebenseinstellung hat. Die Schönheit und Gefahr der Stadt verschmelzen für ihn zu einem Ganzen. In einer gefährlichen wie gefährdeten Welt zu leben, gehört seit jeher zu seinen zentralen Themen. Auf "Taoist Priests" resümiert er es so: "We are naked, we are raw. We are naked, we are war." Seit Neuestem hat Hugo Race ein dem mehr oder minder düsteren Folkrock geschuldetes Nebenprojekt in Gestalt von DIRTMUSIC mit Chris Eckman (THE WALKABOUTS, Chris & Carla) und Chris Brokaw (CODEINE, COME). Chris Eckman formulierte einst seinen persönlichen Respekt sehr treffsicher: "HUGO RACE & THE TRUE SPIRIT sind gleichermaßen passionierte Bluesmusiker und verwegene Klangforscher. Bei allen möglichen Vergleichen eine rare Kombination. Wenn ihr nicht bereits zuhört, wird es jetzt höchste Zeit." Vor kurzem ist das Album "53rd State" erschienen, auf dem sich auch eine Hommage an Lee Hazelwood findet. Race spielt hier eine Coverversion von "Sand" (Lee Hazelwood & Nancy Sinatra) und den Part von Nancy Sinatra übernimmt seine Tochter Violetta Delconte. Hugo Race beantwortete einige Fragen zu seinem bewegten Leben.
Du warst kürzlich mit deinem Nebenprojekt DIRTMUSIC in Deutschland auf Tour. Inwieweit ist deine Stammband HUGO RACE & THE TRUE SPIRIT eine andere Plattform als DIRTMUSIC? Hast du mit THE TRUE SPIRIT eher die Möglichkeit experimentell zu arbeiten? Ich denke speziell an die elektronischen Einflüsse.
So in etwa kann man das sagen. Ich sehe THE TRUE SPIRIT als Verbindung zu meiner ursprünglichen Idee des Musikschaffens zu Zeiten des Postpunk: eine Art Kettenreaktion von Einflüssen, welche die kosmische Seite von Psychedelic-Rock, die Schärfe dessen, was ich Primal-Blues nennen möchte: der Blues der 30er, 40er Jahre sowie die frühen 50er Jahre, den Zorn der von Reagan beherrschten 80er Jahre, die elektronischen Sachen der 90er Jahre, sowie die sanfte und sexy Seite von Soul, die alles oben Genannte heilt, widerspiegelt. Wir waren immer sehr zufrieden damit, nicht so einfach in eine Schublade gesteckt werden zu können. Wir zögerten nie, politische, okkulte und spirituelle Einflüsse und Strömungen in unserer Musik zuzulassen. Unser neues Album "53rd State" verbindet alle die kulturellen Strömungen von THE TRUE SPIRIT und seiner Mitglieder, die in Europa, den USA und Australien leben. Die Art, wie ich für THE TRUE SPIRIT schreibe und wie wir arbeiten, basiert auf einem komplexen Netz aus Ideen und Persönlichkeiten, welches sich in den nahezu 20 Jahren entwickelt hat, in denen wir miteinander gewachsen sind und unsere persönlichen Obsessionen zum Leben erweckt haben. Bei DIRTMUSIC ist die Devise eher "Keep it simple", in einem Bereich, in dem weniger mehr ist, bezogen auf einen direkteren Kontakt zum Publikum. Etwas, das Chris Brokaw, Chris Eckman und ich selbst im Laufe der Jahre immer wieder als Einzelmusiker gemacht haben. Wir wollten unsere Erfahrungen aus den One-Man-Shows zusammenführen und etwas Ähnliches, aber als Band, präsentieren. Im Wesentlichen geht es darum, die Kraft, die Folkmusik immer hatte, zu kanalisieren.
Beim Konzert von DIRTMUSIC in Hamburg habt ihr euch darüber amüsiert, dass in der Presse für die Konzertankündigung falsche Bandfotos verwendet wurden. Das gibt mir die Gelegenheit zu fragen, ob du generell glücklich bist mit deinem Image in der Musikpresse als der "sinistere australische Blues-Performer und ehemaliges Gründungsmitglied der BAD SEEDS"?
Ich bin sehr dankbar und glücklich darüber, wie sich mein bisheriges Leben entwickelt hat. Als junger Musiker im Orbit von Nick Cave heranzuwachsen, war definitiv eine großartige Erfahrung, weil er mir Türen geöffnet hat. Wir sind beide von ähnlichen Einflüssen geprägt: Blues, Expressionismus, Melodramatik und solche Sachen. Wir sind immer noch enge Freunde. Mitunter ist die Musikpresse etwas langweilig und stereotyp. Ich habe vor vielen Jahren längst mein musikalisches Terrain abgesteckt, insofern berühren mich solche Kategorisierungen nicht wirklich.
Du hast bis vor kurzem im Schatten des Ätna auf Sizilien gelebt. Wie hat dich Italien beeinflusst und wie spiegelt sich das in deiner Musik wider?
Ich habe gerade die Aufnahmen für ein Album in einem Studio in Catania eingespielt - also wie du sagst im Schatten des Ätna. Ich konnte jeden Tag am Ende der Straße die Silhouette des Vulkans betrachten und verfolgen, in welche Himmelsrichtung der Wind die Asche wehte. Es ist ein machtvoller Ort mit irrsinnig energetischen Strömungen. Allerdings lebe ich heute nicht mehr in Catania. Meine Verbindung zu Italien ist ziemlich intensiv. Es ist schwierig zu sagen, wie sehr mich das Leben dort beeinflusst hat. Ich schätze, dass ich gelernt habe, mich dem Leben dort anzupassen. Es ist ein schnelles, von der "Straßenkultur" geprägtes Leben, voller Korruption, aber paradoxerweise auch durch eine großartige Schönheit geprägt. Ich habe dort das Beste und das Schlechteste gesehen, was Menschen hervorbringen können. Mit der Sängerin und Pianistin Marta Collica habe ich in Catania zwei Alben unter dem Projektnamen SEPIATONE produziert, eine Art italienisches experimentelles Pop-Delirium, das auf Martas Gesang und Songwriting und meinen elektronischen Samples basiert. Die beiden Alben sind auf dem Label Milano2000 Records und auf Desvelos Records erschienen, und zwar 2001 und 2005. Bei SEPIATONE dreht es sich um Träume, Nostalgie und die Schönheit des Dunklen. Wir schreiben gerade an unserem dritten Album, das wir wahrscheinlich nächstes Jahr herausbringen werden.
Einige deiner langjährigen Wegbegleiter entdecken wieder ihre starke Affinität zum traditionellen Blues, beispielsweise Nick Cave mit seinem Projekt GRINDERMAN. Schaut man sich deine musikalischen Entwicklung an, ist klar, dass du dieses Genre früh und intensiv mit deinem Album "Rue Morgue Blues" von 1988 abgedeckt hast. Wie hat sich deine Einstellung zum Blues über die Jahre hinweg verändert? Nick Cave äußerte einmal, dass die ursprüngliche und rohe Form des Blues ein gutes Vehikel ist, um auf sehr direkte Art und Weise das Innere nach Außen zu kehren.
Das Beste am Blues packt dich derart, dass alles andere zahm erscheint. Ich höre nur selten zeitgenössischen Blues, da er mich nicht wirklich berührt. Es scheint, als ob diese Form eine leere Hülle geworden ist, mehr Routine und Blaupause. Ich mag die alten Sachen, roh und rauh, direkt aus den Wüsten und Sümpfen. Meine eigene Musik habe ich nie als Blues betrachtet. Eher sehe ich sie als einen Weg, der Parodie von Rock'n'Roll zu entfliehen und nahe am Ursprung zu bleiben. Meine ersten Platten verweisen durch elektronische Klänge auf den Blues. Das war es, was ich ihm geben konnte. In dem Song "53rd state" von unserem aktuellen Album verwende ich einen Riff von Howlin' Wolf und das ist halb Satire und halb Zorn. Der Ausgangspunkt für diesen Song war "Empire state" von Son House, der Bluesmusiker wie Robert Johnson und Muddy Waters beeinflusst hat, und ein gutes Beispiel dafür, dass Blues immer einen politischen Aspekt hatte, obwohl eine Menge Leute das nicht wirklich wahrnehmen. Die meisten denken, es geht immer nur um dieses oberflächliche "My baby left me"-Klischee, dabei ist es wesentlich mehr, was im Blues steckt.
Inwieweit berührt dich die gegenwärtige Renaissance von Postpunk?
Ich sehe die Kids von heute Sachen ausgraben, mit denen ich aufgewachsen bin: JOY DIVISION, THE POP GROUP, THE GUN CLUB. Das empfinde ich nicht als das Schlechteste. Auf diese Weise können diese Kids auch THE TRUE SPIRIT entdecken. Zu deiner Frage: gerade habe ich THE WRECKERY reformiert und wir werden im August einige Konzerte in Australien spielen. Ich denke, die Zeit ist reif, diesen Sound wieder zu spielen. Bisher wollte ich das nicht. Aber nachdem ein Label in Sydney unsere alten Alben wieder herausbringen will, erscheint mir der Zeitpunkt richtig. Ich erinnere mich, dass es in den 80er Jahren extrem schwierig war, in Australien an Underground-Musik zu kommen. Wenn zum Beispiel eine neue Platte von THE FALL erschien, musstest du Monate warten, bis eine einzige Kopie als Import auftauchte, und dann war es fast ein Wunder, wenn jemand genug Geld hatte, um das Teil zu kaufen. Deshalb haben wir begonnen, unseren eigenen Sound zu spielen. Dies war eine wesentliche Initialzündung für das, was heute unter der "Melbourne Scene" subsumiert wird. Heute kann man alles gratis aus dem Internet herunterladen. Die Bedeutungen haben sich verschoben. Ich glaube allerdings nicht, dass das die Sache für die Kids heute einfacher macht. Absolute Verfügbarkeit hat ihre Schattenseiten: Facettenlose Gleichartigkeit breitet sich aus, und die Inspiration schwindet im Zeichen von zunehmender Vermarktung.
Du hast in der Vergangenheit mit Musikern wie Mick Harvey, Nikki Sudden und Robert Forster von den GO-BETWEENS zusammengespielt. Wie haben sie dich beeinflusst? Ihr habt ja ähnliche musikalische Präferenzen, Mick Harvey etwa ist wie du ein großer Fan von Lee Hazelwood.
Die von dir genannten Musiker beeinflussen mich sicherlich sehr stark hinsichtlich ihrer ganz eigenen Lebensphilosophie - also nicht nur auf der rein musikalischen Ebene -, gerade in Bezug auf ihre Authentizität und ihren Umgang mit Themen wie beispielsweise Selbstzweifeln. Meine Sessions mit Nikki Sudden in Berlin haben bis heute eine große Bedeutung für mich. Mick Harvey sehe ich noch sehr oft. Mick hat bereits öfter auf Tour Schlagzeug für THE TRUE SPIRIT gespielt und an unseren SEPIATONE-Alben als Produzent mitgewirkt. Es ist immer ein gutes Gefühl, mit ihm zu arbeiten.
Wie sieht dein Interesse an aktuellen Bands aus? Gehst du zu Konzerten, um neue Einflüsse zu gewinnen?
Ich habe kürzlich Holly Golightly in Kopenhagen live gesehen und war begeistert. Ich mag das letzte Album von PJ Harvey sehr. Ich höre aber gegenwärtig auch Veröffentlichungen von WILLARD GRANT CONSPIRACY, Mark Stewart, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN sowie die Alben von GRINDERMAN und WOVEN HAND, gerade die letzten beiden haben mich begeistert. Den wirklich erstaunlichsten Sound der letzten Zeit habe ich gehört, als ich mit DIRTMUSIC im Januar dieses Jahres in Afrika in Mali auf einem Festival gespielt habe: diese Art von afro-arabischem Blues, wie er von Bands wie BASSAKOU KOYATE, TINARIWEN und TAMIKRAST gespielt wird, hat mich sehr gefesselt.
Eine Frage, welche dir vermutlich oft gestellt wird: Wie sehen deine Ambitionen im Bereich Filmmusik aus? Ich denke in diesem Kontext daran, dass du 1988 neben Nick Cave und Regisseur John Hillcoat Mitautor des Drehbuchs des Film "Ghosts Of The Civil Dead" gewesen bist?
Natürlich interessiert mich dieses Genre sehr und ich verfolge auch verschiedene Projekte. Zuletzt habe ich den Soundtrack für den australischen Film "Forbidden Lies" geschrieben. Darüber hinaus arbeite ich an einem eigenen Film und habe auch hier bereits begonnen, den Soundtrack zu schreiben. Das Projekt macht gute Fortschritte und ist, wenn es gut läuft, bis Ende Jahres abgeschlossen. Gegenwärtig möchte ich aber noch nicht zu viele Details verraten.