Kind Of Porgy & Bess
Claudio Montverdi steht ihm ebenso nahe wie Chet Baker. Der junge, sardische Trompeter Paolo Fresu gehört zu jener Generation europäischer Jazzkünstler, die sich von den anglo-amerikanischen Vorbildern erfolgreich abgenabelt haben und sich auf ihre reichhaltigen, europäischen Wurzeln aus E- wie U-Musik besinnen. Bisher sind mit dem in Paris lebenden Hoffnungsträger äußerst unterschiedliche Geister kreative Allianzen eingegangen: Frankreichs Altmeister Michel Portal war darunter, aber auch Jungstars wie der vietnamesisch-stämmige Fusiongitarrist Nguyen Le und der Hannoveraner Tastenkünstler Jens Thomas. Selbst der indische Percussion-Wirbelwind Trilok Gurtu wollte nicht auf Fresus' geschmeidig-elegante Klangfarben verzichten. Selten nur gelingt der Mix aus Klassik- und Folklore-Elementen, lyrischen Improvisationen und kühlen, elektro-akustischen Avantgarde-Sounds, Paolo Fresu, dem sinnlichen Individualisten glückt er mit großer Selbstverständlichkeit. (jazzlines.de)
Wenn ich spiele, ist es so, als würde ich singen, sagt Trompeter Paolo Fresu. Diesen Gesang erprobte er schon mit 11 Jahren als Trompeter in einer traditionellen Banda, einer Blaskapelle in seinem Heimatort Berchidda im Norden Sardiniens. Zum Jazz fand Fresu durch eine Schallplatte von Miles Davis, der neben Chet Baker zum großen Vorbild wurde.
Der 43jährige ist ein begnadeter Techniker, doch er meidet - wie vor ihm Davis und Baker - virtuose Schaukämpfe. Seine Musik lebt von einer filigranen Dramaturgie: Paolo Fresu liebt dynamische Wechselbäder und schafft Klangräume, die auch Platz für Stille lassen. Wenn du einen guten Sound hast, sagt er, kannst du eine Note spielen und damit eine Menge erzählen. Wenn dein Sound schlecht ist, musst du eine Menge Noten spielen.
Mitte der 80er, nach einem Trompeten-Studium und der Lehrzeit bei Enrico Rava, brachte Inner Voices, eine Platte mit dem Saxophonisten Dave Liebman, den internationalen Durchbruch. Fresus erstes eigenes Quintett erhielt 1990 auf Anhieb sämtliche italienischen Jazzpreise. Danach folgten zahllose musikalische Gipfeltreffen - u.a. mit Kenny Wheeler, Albert Mangelsdorff, Gerry Mulligan, Phil Woods, Richard Galliano, Joachim Kühn und Jens Thomas.
Paolo Fresu ist nicht nur ein vielbeschäftigter Musiker, er ist auch äußerst vielseitig: Er komponiert für Film und Theater, vertont Gedichte, leitet ein Jazz-Festival und ist Professor für Jazz an der Universität in Siena.
Vor zwei Jahren hat Fresu seine Vielseitigkeit an einem Klassiker der Jazzgeschichte erprobt: an Porgy & Bess. 1935 hatte George Gershwin diese Mutter aller Jazz-Opern komponiert, 1958 entdeckten Miles Davis und Gil Evans das Werk mit ihrer bahnbrechenden Interpretation für die Jazzmoderne - 3 Jahre bevor Fresu geboren wurde. Der erinnert in seinem Projekt Kind Of Porgy & Bess sowohl an das Original als auch an die Miles Davis-Version und ergänzt diese mit visionären Ideen: er inszeniert "Porgy & Bess" als moderne Jazzoper mit E-Gitarre, Akkordeon, arabischer Laute (Oud) und Gesängen, die jeden Muezzin in den Schatten stellen.
Für dieses ungewöhnliche Projekt sind Musiker aus diversen Formationen Fresus versammelt. Eine illustre Runde: die Italiener Antonello Salis (p) und Paolino dalla Porta (b), der Schwede Morten Lund (dr), der tunesische Oud-Spieler und Sänger Dhafer Youssef und Nguyên Lê, die innovativste Gitarrenstimme unserer Tage. Der Zeitschrift "Jazz Thing" sagte Paolo Fresu: Wir spielen dieses alte Material wie ein Puzzle mit dem Sound von heute, inklusive dem Oud-Sound, dem Coltrane-Sound und allen möglichen Arten, Musik zu machen. Für mich ist "Porgy & Bess" vor allem eine faszinierende Geschichte. Es ist eine universelle Love Story, die eigentlich Menschen in aller Welt anspricht, und deshalb sollte man sie auch in allen möglichen musikalischen Sprachen spielen.
Pressestimmen:
Ein frischer Blick auf eine berühmte Oper (Jazz Thing)
Wer noch nicht wusste, dass die Jazz-Trompete in Italien einen besonderen Rang innehat, kann es beim technisch exzellenten Paolo Fresu lernen. (Jazzpodium)
PAOLO FRESU
Was in österreich die Blaskapelle, ist in Italien die Banda. Diese beliebten Laienorchester haben schon im vergangenen Jahrhundert dazu beigetragen, dass aus den Melodien großer Komponisten die Gassenhauer des Volkes wurden. Obwohl sie zeitweilig mit der Verbreitung des Radios in Vergessenheit zu geraten drohten, sind sie bis heute ein Hort der traditionellen Popularkultur und außerdem ein erstes Sammelbecken für musikalische Talente. So beginnt auch Paolo Fresus Geschichte in einem dieser Blechblasorchester. Denn der 38jährige Trompeter aus dem Städtchen Berchidda im Norden Sardiniens spielte bereits in jungen Jahren in der kommunalen Kapelle seines Heimatortes.Die profunde Leidenschaft für sein Instrument entflammte jedoch erst, als Fresu näher mit der Musik von Miles Davis und dessen Zeitgenossen in Berührung kam. Er begann am Konservatorium von Sassari studieren. Und er hatte Glück, denn der Kontrabassist und einflussreiche Veteran der italienischen Jazz-Szene Bruno Tommaso wurde auf ihn aufmerksam. 1982 holte er den talentierten Newcomer in sein Orchester. Fresu bekam die Möglichkeit, in einem der renommiertesten Ensembles seines Landes Erfahrungen zu sammeln, studierte außerdem an der Universität von Bologna und verfeinerte seine Klangsprache als Schüler des Trompeters Enrico Rava. So konnte er bald als Dozent nach Sassari zurückkehren und 1985 sein erstes Album „Ostinato“ unter eigenem Namen veröffentlichen.
Von da an ging es bergauf. Im folgenden Jahr nahm er zusammen mit Dave Liebman „Inner Voices“ auf, eine Platte, die ihm erste internationale Anerkennung verschaffte. Mit Tino Tracanna (sax), Roberto Cipelli (p), Attilio Zanchi und Ettore Fioravanti (dr) gründete er sein Quintett, das ihn auf zahlreichen einheimischen Festivals als Künstler und Bandleader etablierte. 1986 reiste er mit Tommaso durch die USA, im Jahr darauf arbeitete er in England mit dem Filmkomponisten Michael Nyman. Außerdem vernetzte er sich mit der lebhaften Musik-Szene im benachbarten Frankreich.
Das Paolo Fresu Project brachte ihn eng mit Furio Di Castri (b) und Aldo Romano (dr) zusammen, die ihm in den kommenden Jahren häufig als künstlerische Partner zu Seite stehen sollten. Denn mit Di Castri entwickelte Fresu ein hervorragendes Duo, das er zuweilen durch den eigenwilligen römischen Akkordeonvirtuosen Antonello Salis erweiterte. Und mit Romano Combos Quartette Italien und Palatino feierte er in den neunziger Jahren beachtliche Erfolge. So entwickelte Fresu sich Schritt für Schritt vom Geheimtip zum Star der Szene, der von seinem ´98er Debut-Album für die BMG France / RCA Victor „Angel“ immerhin mehr als 10 000 Exemplare an den Mann brachte. Das hat seinen Grund nicht nur im künstlerischen Werdegang, sondern auch in der ästhetischen Qualität der Musik. Denn Fresu entwickelte einen kraftvoll transparenten Ton, der ihn souverän durch hardbopping schnelle Passagen geleitet wie auch in balladenhaften Momenten zum lyrischen Feingeist werden lässt. Die Grundlage seines ausgeprägten Individualstils sind die Errungenschaften des späten Miles Davis, auf dessen Kunst, effektvoll mit spannungsgliedernden Elementen wie Pausen, markanten Leittönen und dynamischen rhythmischen Kontrasten umzugehen, Fresu seine persönliche Klangsprache aufbaut.
Mit „Metamorphosi“ greift er nun auf die bewährte Besetzung von „Angel“ zurück und fügt ihr zuweilen atmoshärische Ornate von Antonello Salis‘ Akkordeon hinzu (Nympheas). Sensibel kombiniert er die klanglichen Inventarien zu einem ausgewogen perfekten Höreindruck. Retardierende Momente wie Claudio Monteverdis Si Dolce é il Tormento und Camille Saint-Saens Adagio stehen hardbopinspirierten Komositionen (Giravolta) oder free rockigen Stilausflügen (The Open Trio) gegenüber. Fresu nutzt gezielt den kreativen Gegensatz der herben Soundvorstellungen des franco-vietnamesischen Gitarristen Nguyen Le und seiner eigenen klar phrasierten Trompetenlinien.Sie ergänzen sich mit Furio Di Castris Kontrabass und Roberto Gattos Schlagzeug zum inspiriert balancierten Klangensemble, zeitlos elegant und zugleich zeitgemäß rasant.