Fado – der Blues der Portugiesen. genannt saudade.
Es ist still im Saal. So still, dass man den eigenen Atem hören kann. Das Geklimper der Teller hat aufgehört, die Kellner haben sich in die Küche zurückgezogen. Niemand spricht mehr. Nur eine Stimme durchschneidet die Nacht. Cristiana Aguas hat die Augen geschlossen. Ihre Lippen funkeln im gedämpften Licht des Saals. Für Momente zieht sich ihr Körper zusammen, die Muskeln spannen sich an. Dann prustet sie alles Seelenleid heraus: Ó meu amor não te atrases. Oh meine Liebe, verspäte dich nicht. Ihre Worte zerfließen in der Luft. Noch einmal presst sie allen Schmerz heraus, dann ebbt die Musik ab. Das Publikum honoriert es mit tosendem Applaus.
Wenn die Nacht ihre Fühler ausstreckt und es dunkel wird über Lissabon, scheinen die hohen Klänge der portugiesischen Gitarre förmlich durch die Gewölbe des Clube de Fado im Altstadtviertel Alfama zu fliegen. Dazu füllt der melancholische Gesang des Fado den Raum mit einem Kaleidoskop an Gefühlen: Liebe und Leidenschaft, Melancholie und Weltschmerz. Kaum ein Ort in der portugiesischen Hauptstadt ist bekannter für den Musikstil als der Clube de Fado, und kaum ein Ort steht so für seine Wiedergeburt. Nach einer langen Durststrecke erlebt der Fado derzeit in Lissabon eine Renaissance. Seit 2011 gehört er sogar zum immateriellen Welterbe der Unesco.
Fado: Lissabons Soundtrack
Lissabon ohne Fado: undenkbar. Und das hat mehrere Gründe. Zum einen ist der melancholische Gesang, der seinen Ursprung vermutlich in Brasilien hat, zu Beginn des 19. Jahrhunderts über Lissabon nach Europa gekommen. Zum anderen kommen aus Portugals Hauptstadt einige der bekanntesten Fado-Künstler. In vielen Lissabonner Kneipen kann man den wehmütigen Gesang regelmäßig hören. Aber nicht nur dort kommen Fado-Fans auf ihre Kosten. Einige bekannte Sängerinnen gehen regelmäßig auf Tournee und tragen den Fado in die ganze Welt.
Süßer Weltschmerz
Wie genau der Fado entstanden ist, weiß niemand so genau. Ziemlich sicher ist allerdings, dass ihn brasilianische Einflüsse entscheidend mitgeprägt haben. Das Wort Fado leitet sich wahrscheinlich vom lateinischen Fatum ab. Das heißt übersetzt Schicksal. Und so klingt der Fado auch. Immer ein wenig schwermütig und melancholisch. Für die Portugiesen verkörpert der Fado die "Saudade", ein typisch portugiesisches Gefühl, das es in dieser Form wohl sonst nirgends auf der Welt gibt. "Saudade" könnte man als eine Mischung aus Melancholie, Weltschmerz und Sehnsucht beschreiben.
Obwohl "Saudade" in jedem Fado vorkommt, gibt es regionale Unterschiede. In Coimbra etwa, nördlich von Lissabon, ist er heiterer und weniger schwermütig. In der Landeshauptstadt wird dagegen die klassische Variante gespielt. Der Fado wird dort von einem Sänger oder einer Sängerin vorgetragen. Begleitet wird der Künstler von zwei Gitarrenspielern. Einer davon spielt auf der zwölfsaitigen "guitarra portugesa" die Melodie, ein anderer gibt mit der sechssaitigen Gitarre den Rhythmus an.
Doch auch wenn es so scheint: Nicht alle Portugiesen lieben den Fado. Viele bezeichnen ihn als zu wehleidig, einige Musikkritiker tun ihn als Volksverdummung ab. Besonders schwer hatte es der Fado in Zeiten der Diktatur unter António de Oliveira Salazar, der zwischen 1933 und 1968 regierte. Er befürchtete, dass der melancholische Gesang die Portugiesen zu einem Volk von Pessimisten machte. Doch der Fado war nicht zu verbannen.
Amália Rodrigues: die Königin des Fado
Zu den berühmtesten Fado-Künstlerinnen gehört Amália Rodrigues. 50 Jahre lang sang die Lissabonnerin den Fado, heute ist sie eine Legende. 1920 wurde Amália da Piedade Rebordão Rodrigues, so ihr voller Name, in Lissabon als eines von zehn Kindern einer armen Familie geboren. Ihre Karriere begann 1939 in einem Nachtclub. Schnell wurde Amália, wie sie in Portugal nur genannt wurde, berühmt, auch über die Landesgrenzen hinaus. Später wirkte sie auch in einigen Filmen mit. 1999 starb "die Königin des Fado". Sie war in Portugal so populär, dass man ihr ein Staatsbegräbnis widmete.
Im Laufe der Jahre hat sich der Fado weiterentwickelt. Zwar hört man aus den unzähligen Lokalen in Lissabon noch immer den klassischen Fado-Gesang, doch mittlerweile gibt es auch junge Künstler, die die Musik auf ihre ganz eigene Art interpretieren. Zum Beispiel verwenden sie zur Begleitung andere Instrumente. Zu dieser neuen Fado-Generation gehören unter anderem die Sängerinnen Misia und Mariza. Beide sind international bekannt und haben sowohl die klassischen Fado-Stücke in ihrem Repertoire als auch viele neue Kompositionen. Die Wurzeln des Fado sind dennoch unüberhörbar. Denn ohne "Saudade", dieses typisch portugiesische Gefühl, kommt auch der "neue" Fado nicht aus.