treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

EIVIND AARSET

Vom Heavy-Metal-Gitarristen zum exper­i­mentellen Klangtüftler — wie viele Gitar­risten seiner Gener­ation wurde der 1961 im norwegischen Drøbak geborene Eivind Aarset von Rock­musikern und vor allem von Jimi Hendrix beein­flusst. Mitte der 1970er Jahre begann er sich für den elek­tri­fizierten Jazz zu inter­essieren, und ganz besonders das Miles-Davis– Album “Agharta”, auf dem Pete Cosey mit seiner wilden, verz­errten E-Gitarre Erin­nerungen an Hendrix weckte. Zur selben Zeit entdeckte Aarset natürlich auch die frühen ECM-Alben seiner norwegischen Land­sleute Terje Rypdal und Jan Garbarek. Dennoch profil­ierte sich Aarset zunächst als Heavy-Rock-Gitarrist, bevor er sich zum Session-Gitarristen mauserte und an über 150 norwegischen und inter­na­tionalen Produk­tionen mitwirkte. Bei diesen Aufnahme­ses­sions lernte er schließlich Bugge Wesseltoft und Nils Petter Molvær kennen. 1997 stießen Molvær and Aarset zusammen zur Band der Perkus­sion­istin Marilyn Mazur und spielten mit ihr für ECM das Album “Small Labyrinths” ein. Doch die großen Schlagzeilen machten sie im selben Jahr mit einer anderen Veröf­fentlichung: Molværs bahn­brechendes Album “Khmer”. Hier konnte man Aarsets kühne Gitarre erstmals und ausführlich hören, wie sie sich zwischen aben­teuer­lichen Samples, program­mierten Beats und Turntable– Scratching hindurch­schlän­gelte. In Molværs Band genoss Aarset alle Freiheit, sein struk­turi­ertes Gitar­ren­spiel zu entwickeln. Mit den fünf Soloalben “Électronique Noir”, “Light Extracts”, “Connected”, “Sonic Codex” und “Live Extracts”, die er in den folgenden Jahren auf Bugge Wesseltofts Jazzland-Label heraus­brachte, sorgte der Gitarrist nicht nur in der europäischen Presse für Furore. Die New York Times etwa beze­ichnete “Électronique Noire” als “eines der besten elek­trischen Jazzalben seit Miles Davis”. Und der All Music Guide attestierte Aarset, einen neuen Standard für Fusion­musik gesetzt zu haben.

Mehr als irgendein anderes Instrument steht die elek­trische Gitarre seit 1967 für die Auflösung der Grenzen zwischen Jazz und Rock. Unzählige Gitar­risten haben seither indi­viduelle Lösungen für die Verbindung beider Genres gefunden, doch nur wenige gehen so weit wie der Norweger Eivind Aarset. Vom Peloton seiner Kollegen unter­scheidet ihn die Tatsache, dass er nicht aus dem Jazz, sondern von Jimi Hendrix kommt und seine Laufbahn mit Heavy Metal begonnen hat. Diese Erfahrung befreit nicht nur das Sichtfeld, sondern entledigt ihn auch jeglichen Zugzwangs, auf seinem Instrument etwas beweisen zu müssen. Der Skan­di­navier mit der weißblonden Mähne bevorzugt einfache Kontexte, die es ihm erlauben, im Ton zu schwelgen, sich über den simplen Dual­ismus von Jazz und Rock hinwegzusetzen und im gleichen Zug alle intellek­tuellen Wider­stände des Hörers zu überwinden. Aarsets Musik verlangt nach kein­erlei Voraus­setzung, sie will einfach nur absorbiert werden, möglichst mit jeder Körperzelle.

Eivind Aarset verstärkte mit seinem unver­wech­sel­baren Sound unter anderem Gruppen von Nils Petter Molvaer, Ketil Björnstad und Bugge Wesseltoft. Der Name seiner langjährigen Band Électronique Noire verrät, dass da Momente von Sound­track und elek­tro­n­ischer Musik hinzukommen. Darüber hinaus kennt Aarset keine Berührungsängste vor Ambient, Postrock, Drum’n’Bass, Noise Music und anderen Idiomen. Es geht immer um den kürzesten Weg, Gefühle oder Stim­mungen adäquat auszu­drücken und die direkte Verbindung zum Hörer aufzubauen. Eivind Aarset ist ein Sender, dessen Antennen stets auf Empfang gestellt sind.

Sein neues Album „I.E.“ hat der Gitarrist einmal mehr mit dem Sonic Codex Quartet einge­spielt, mit dem er auch auf Tour gehen wird. Innerhalb dieser Band verwischt er nicht nur die Grenzen zwischen den Genres, sondern löst auch die Funk­tionen von Leader und Sidemen auf. Zur Seite stehen ihm drei Musiker, die ihrer­seits seit Jahren als gestal­tende Gren­zgänger von sich reden machen. Drummer Erland Dahlen hat nicht nur in der Rockband Madrugada Rock­geschichte geschrieben und seit längerer Zeit mit seinen archaischen Drum-Grooves Nils Petter Molvaers ätherische Trompe­ten­sounds grundiert, sondern mit seiner Solo-Platte „Rolling Bomber“ eines der eindrucksvollsten Klanggemälde der jüngeren Zeit geschaffen.

Komplet­tiert wird die Band durch zwei weitere Allrounder: Audun Erlien spielt Keyboards und Bass und Wetle Holte sitzt hinter dem zweiten Schlagzeug.
Gemeinsam unternehmen die vier Musiker eine Reise in die vierte Dimension. Was relativ linear beginnt, baut sich immer mehr auf, erst zur Klangfläche, dann zum Sound­space und bricht schließlich in Dimen­sionen auf, für die herkömm­liche Beschrei­bungen völlig unzulänglich sind. Indem sie unen­twegt zwischen Science Fiction und gefühlter Erin­nerung umschalten, gelingt ihnen ein verwirrendes Spiel aus Grav­i­tation und Fliehkraft, eine rastlose Wurm­lochjagd von einem Klangquad­ranten zum nächsten und eine Art Malefiz mit jeglichen Erwartungen. Vor jedem Auftritt steht nur eines fest: Aarset und Co. werden den Hörer mit in uner­hörte Welten nehmen. Diese Welten im Voraus zu verorten, ist ein Ding der Unmöglichkeit.

Eivind Aarset, Erland Dahlen, Wetle Holte und Audun Erlien sind nur einem einzigen Kanon verpflichtet, und das ist ihr ureigener Sonic Codex. Ein unbe­grenztes Regelwerk der spielerischen und gestal­ter­ischen Möglichkeiten, das für jeden, der sich aus welcher Perspektive auch immer darauf einlässt, eine Art Läuterung darstellt. Der Zugriff dieser Sounds ist universal und verändert zumindest für den Augen­blick alles. Einen Auftritt von Eivind Aarsets Sonic Codex hakt man nicht einfach ab, sondern man nimmt ihn über die Körper­res­onanz mit nach Hause, auf dass er sich über viele Wochen und Monate in Kopf und Blutbahn entfalten kann.

Eivind Aarset gilt als einer der aufregendsten, individuellsten und kreativsten Repräsentanten der norwegischen Jazz--Szene. Sein Debütalbum "Électronique Noire" wurde in der New York Times, dem amerikanischen Jazzmagazin Jazz Times und der britischen Publikation Jazzwise unisono als "eines der besten elektrischen Jazzalben der Post-Miles-Davis-Ära" gefeiert.
Eivind Aarsets musikalisches Schlüsselerlebnis war, als er als Zwölfjähriger erstmals auf Jimi Hendrix stieß. "Nachdem ich ihn gehört hatte, kaufte ich mir sofort eine Gitarre und legte los", erinnert sich Aarset. "Als nächstes zog ich mir Rockbands wie Deep Purple, Black Sabbath, Santana und Pink Floyd rein. Erst danach machte mich mein Bruder mit der Musik von Miles Davis, dem Mahavishnu Orchestra, Weather Report und Return To Forever bekannt. Später entdeckte ich durch Jan Garbarek den ECM-Sound, und natürlich beeinflusste mich Terje Rypdal sehr stark. Schließlich wurde ich flügge und ging mit einer Heavy-Metal-Band auf Tournee. Eine fantastische Erfahrung, bis ich die Nase davon voll hatte, jeden Abend den Wütenden zu markieren! Also stieg ich aus und schlug mich als Sessionmusiker durch."
Eine wirklich eigene Instrumentalstimme begann Eivind Aarset aber erst zu entwickeln, als er in der Band Ab & Zu mitspielte. Der nächste Zwischenstopp war ein Ensemble des Saxophonisten Bendik Hofseth, der damals Michael Brecker bei Steps Ahead abgelöst hatte. Danach begab sich Aarset in den norwegischen Jazz-Underground, wo er den Keyboarder und Szene-Guru Bugge Wesseltoft kennen lernte und schließlich zu seiner eigenen Stimme, so wie wir sie heute kennen und schätzen, fand.
Für das norwegische "Maijazz"-Festival komponierte Aarseth im Winter 96/97 das Werk "7". Im Sommer 97 überarbeitete er die Stücke, spielte sie neu ein, mixte sie nochmals ab und schuf so sein erstes Soloalbum "Électronique Noire", das 1998 auf Wesseltofts jungem Label Jazzland Records erschien und auf Anhieb enthusiastisch gefeiert wurde. "Ein außerordentlicher Entwurf, das bis dato aufregendste Zeugnis einer verheißungsvoll brodelnden Szene" - urteilte das Magazin Jazzthetik begeistert.
"Musik umgibt uns, immer und überall", sagt Aarset. "Ich nehme diese Eindrücke auf und nutze die verschiedensten Elemente, ohne zu analysieren, wie Genre und Stil jetzt scheinbar korrekt zusammengehören. Mich interessieren experimenteller TripHop, Ambient, Drum'n'Bass, aber auch Pop, Rock und Modern Jazz. Auf 'Électronique Noire' ist der Computer neben meiner Gitarre das meistbenutzte 'Instrument'. Der Großteil der Stücke besteht aus digitalisierten Improvisationen, die erst nachträglich geordnet wurden. Das Album bewegt sich zwischen Filmmusik, Meditationsmusik, düsteren Moods und Elektro-Sounds."
Kraftvolle, aber zugleich auch verstörend mysteriös anmutende Tracks machten deutlich, dass mit Eivind Aarset ein neuer zeitgenössischer Jazzer die Szene betreten hatte, der gewillt war, die Musik auf ein neues Level an Intensität, Tiefe und Erregung zu führen. Für manche war dies schon der Klang des heraufziehenden neuen Milleniums.
Entsprechend erwartungsvoll blickte die Jazzwelt der nächsten Veröffentlichung von Eivind Aarset entgegen, die er dann 2001 vorlegte: "Light Extracts". Einmal mehr glich seine Musik einer Bestandsaufnahme des aktuellen Szenetreibens. Wieder kombinierte er die aufregendsten Klänge des zeitgenössischen Jazz mit kühnen Improvisationen und den Beats der europäischen Club-Kultur.
"Wir haben im Februar 2000 im Studio aufgenommen, danach habe ich ein Jahr zu Hause geschnitten. Es läuft so: Wir gehen ins Studio, spielen lose mit Ideen und danach wird umfassend editiert und strukturiert. Später haben wir dann das Schlagzeug wieder live eingespielt - über den Edit - damit das Ganze wieder "loose" klingt! Es mag schon verrückt erscheinen es so zu machen, aber der Sound ist eben viel frischer."
Begleitet wird Eivind Aarset auf "Light Extracts" von Wibutee-Schlagzeuger Wetle Holte, Beady Belles Co-Mastermind Marius Reksjø am Bass, Keyboarder Arve Furset und dem dänischen Bassklarinettisten Hans Ulrik, den Eivind Aarset kennen lernte, als sie zusammen in Marylin Mazurs Band Future Song spielten. Als Gast ist auch wieder, wie schon auf "Électronique Noire", Trompeter Nils Petter Molvær dabei.
"Was mich zu dieser Sorte Musik hinzieht, sind die hypnotischen Grooves und die musikalische Freiheit, die ich in ihr finde", sagt Aarset. "Bei dem, was ich mache, gibt es keine etablierten Regeln und keine Tradition. Man schafft sich die Regeln, während man spielt, einfach selbst. Rhythmus ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Musik, die Markierungspunkte in der Landschaft, durch die der Musiker reist. Wir betreten musikalisches Neuland, und ich habe keine Ahnung, wohin die Reise diese Szene letztendlich noch führen wird. Aber es gibt noch eine ganze Menge großartiger Klänge und neuer Musik zu kreieren, und das ist es, was diese Szene so aufregend macht."
"Light Extracts", die jüngste Zwischenstation auf Eivind Aarsets musikalischer Odyssee, streift die Ketten gestriger Klänge ab, um die musikalische Evolution durch ständige Transformation voranzubringen. Die Klangmöglichkeiten der Zukunft sind noch lange nicht ausgeschöpft. Und es sind Musiker wie Aarset, die uns dies mit ihren Alben immer wieder vor Augen und Ohren führen.
Als einer der gefragtesten norwegischen Musiker ist Eivind Aarset seit Jahren festes Mitglied von Nils Petter Molværs Band, die als erste die Klänge des norwegischen Jazz-Undergrounds ins europäische Rampenlicht rückte. Er sei "der vielseitigste Gitarrist", den er kenne, hört man den norwegischen Trompeter oft über Aarset sagen. Auch an der Einspielung der beiden wegweisenden Molvær-Alben "Khmer" und "Solid Ether" war dieser beteiligt.
Außerdem wirkte Eivind Aarset schon auf über 150 Alben von so unterschiedlichen Musikern wie Ray Charles, Dee Dee Bridgewater, Ute Lemper, Cher, Marilyn Mazur, Ketil Bjørnstadt, Mike Mainieri, Arild Andersen, Abraham Laboriel und Django Bates mit.


Noch werden wir nahezu überrollt mit Musik aus den skandinavischen Ländern – speziell Norwegen ist ein starker "Zulieferer", wenn es um kreative, oft auch elektronische oder zeitgenössisch experimentelle Musik geht. Aus dem Umfeld der Bugge Wesseltoft/Nils Petter Molvaer-Liga stammt der Gitarrist Eivind Aarset. Lange Jahre mit letzterem auf Tour gewesen, legt er jetzt nach drei Jahren Pause sein drittes Album unter eigenem Namen vor: "Connected".

Dem zarten Blonden aus dem hohen Norden, wie man ihn gut nennen könnte, geht es nach wie vor um die gekonnte Mischung aus elektronischen Sounds und handfestem Jazz-Fusion. Diesmal allerdings hat er sich zur Verwirklichung seiner Soundvorstellungen eine größere Anzahl von Mitmusikern ins Boot geholt, erlaubte seiner Musik in der Zusammenarbeit mit anderen zu wachsen.

Carina: An deinem neuen Album "Connected" sind viel mehr Musiker beteiligt, als an deinen ersten beiden CDs. Gab es einen Masterplan, etwas wie eine Roadmap, anhand derer du die Leute zusammengesucht hast?
Eivind: Nein, das kam eher zufällig. Für diese Platte ergab sich eine für mich neue, weitergehende Zusammenarbeit, in der Form, dass ich andere ins Schreiben der Stücke und die Produktion einbezogen habe. Nun gut, bei einigen, nicht bei allen Stücken. Bei meinen ersten beiden Platten habe ich ausnahmslos alles unter Kontrolle haben wollen. Ich fand es jetzt sehr anregend, in dieser Hinsicht offener zu agieren. Ich habe dabei auch viel dazugelernt, dadurch, dass ich Leuten erlaubte, meine Musik in andere Richtungen zu lenken. Das will ich auf jeden Fall beibehalten und der kreativen Kraft mit anderen zusammen noch mehr Freiraum geben.

Carina: Warum hat es drei Jahre gedauert mit deinem neuen Album? Eine Phase der Neuorientierung? Oder Perfektionismus?
Eivind: Keine Ahnung (lacht). Weißt du, höchstwahrscheinlich war es … – ich war einfach zu viel auf Tour! Ich kann dabei nicht gut gleichzeitig schreiben. Als ich noch mit Nils-Petter Molvaer spielte, waren wir fast ständig auf Achse. Mir blieben nur die kurzen Phasen daheim, um mich auf neues Material zu konzentrieren. Die ersten Sessions für das Album fanden bereits 2002 statt.
Es hat nur eine Weile gedauert es fertigzustellen. Gut – da gab es auch ein paar technische Probleme. Es hätte vor eineinhalb Jahren fertig sein sollen. War es eigentlich auch, aber immer klemmte es irgendwo. Das blieb so bis kurz vor Schluss. Ich brauche wohl nur ausreichend Druck; das zwingt mich zum effektiven Arbeiten. Ein Schild, auf dem steht: Deadline! So ähnlich jedenfalls.

Carina: Laut "All Music Guide" bist du ein Künstler, der neue Standards für die Fusion-Musik setzt. Dein Einbeziehen von Elektronik und von Soundexperimenten ins Gitarrenspiel wird als revolutionär und als Erneuerung beschrieben. Wie stehst du selbst zu solchen Aussagen?
Eivind: Das ist … (lacht erstmal ausgiebig) … ein bisschen viel der Ehre! Ich sehe mich definitiv eher in einer Tradition. Wenn auch in einer Tradition der Nicht-Traditionalisten, von Leuten, die mit der herkömmlichen Soundvorstellung der E-Gitarre brachen, die andere Klänge wollten als elektrisch verstärkte Saiten.
Da wäre natürlich in erster Linie Jimi Hendrix zu nennen. Für mich gehört auch Terje Rypdal dazu, oder Bill Frisell und David Torn. Mit denen fühle ich mich seelenverwandt. Vielleicht mache ich ja auch etwas, dass sie noch nicht gemacht haben. Aber mich gleich als den großen Innovator hinzustellen finde ich übertrieben.
Carina: Hast du etwas wie ein gedankliche Vorstellung deiner Musik vor Augen, eine Vision, wenn du ein Stück entwirfst? Oder ist es auch harte Arbeit am Reißbrett?
Eivind: Ja nun - ich würde es schon so umschreiben, dass da etwas existiert, das ich versuche einzufangen. Eine Art von mentalem Bild, dem ich folge, das auf der Gefühlsebene liegt, abseits von Akkordfolgen und Melodien. Es ist wichtig, dass so etwas da ist – auch wenn dann natürlich noch eine ganze Menge Technik ins Spiel kommt, bis man den vorgestellten Sound tatsächlich umsetzen kann.
Damit etwas passiert, sitzt man also schon am Reißbrett. Und experimentiert. Man braucht Erfahrung, um zu merken, wann sich etwas anbahnt und wann nicht. Die Bereitschaft, etwas wegzuwerfen, muss da sein – oft fange ich mit einer Sache an, und am Ende kommt was völlig anderes raus. Vielleicht war ja die Vision zu schwach … jedenfalls wollte der Song woanders hin. Und das lass' ich ihn eben dahin gehen.
Carina: Die Freiheit in der Musik, die Möglichkeit der Improvisation, würdest du das für dich, allgemein gesagt, als das zentrale Element bezeichnen?
Eivind: Nein – das wichtigste ist, das etwas die richtige Stimmung vermittelt, viel mehr als ob es nun "improvisiert" ist oder nicht. Wenn ich Musik höre, denke ich ja auch nicht über so etwas nach. Wenn wir live spielen, hat es sich für uns als bester Weg herausgestellt, wenn wir - nennen wir es mal so – ein abgestecktes Ziel haben. Der Weg dahin ist freigestellt. Ich hätte ein Problem festzulegen, dass wir irgendwas immer auf die gleiche Art machen sollten. Das funktioniert nicht. Die Improvisation hat einen großen Anteil, das stimmt, aber es ist nicht der Kern der Dinge. Falls ich zufällig heute etwas spiele, was ich gestern schon so ähnlich gemacht habe, denke ich also nicht gleich: "Das war aber ein Mistkonzert!" So nun auch nicht.
Carina: Der Bandkontext und der Bandsound allgemein – ist dir das wichtiger als Solos zu spielen und im Rampenlicht zu stehen?
Eivind: Ganz klar! Mehr noch, eigentlich interessiert es mich sogar überhaupt nicht, ein Stück zu spielen, nur als Vorwand für ein Solo: Im Off auf der Lauer liegen, nur um … hey, da kommt mein Solo! Nein, im Ernst, ich höre mir durchaus Musik an, die genau so läuft, und habe da auch gar nichts dagegen einzuwenden. Aber "meins" ist das nicht.

Carina: Wie wichtig für deine Musik ist die Zusammenarbeit mit Leuten wie Bugge Wesseltoft oder Ketil Björnstad?
Eivind: Bugge ist für mich aus ganz offensichtlichen Gründen wichtig: Erstens, weil er mich gefragt hat, ob ich meine Sachen denn nicht auf seinem Label veröffentlichen möchte. Hätte er mir das nicht angeboten, ich hätte in der Richtung wohl nie etwas unternommen, fürchte ich. Also, allein deshalb ist er schon sehr wichtig.
Die andere wesentliche Sache, die ich ihm verdanke, beruht auf einer Bemerkung, die er zu mir machte, als ich '96 in seiner Band anfing. Das war zwar nur für ein halbes Jahr oder so, jedenfalls kein ganzes. Nun jedenfalls – er nahm mich beiseite und wies mich etwa folgendermaßen ein: "O.k., ich will hier keine Solos und ich will hier keine Rhythmusgitarren, damit das klar ist!" Äh, wie jetzt … – ich hatte mein Lebtag nichts anderes außer Solos oder Rhythmusgitarre gespielt! Das brachte mich echt ins Schwitzen, zwang mich, mir irgendetwas ausdenken. Und so legte ich mir im Endeffekt ein ganz neues Vokabular auf der Gitarre zu.
Ja und Ketil, mit ihm habe ich in der Tat auf einigen Alben zusammengespielt. Die Arbeit mit ihm ist sehr angenehm; er schreibt wunderschöne Stücke und ist ein großherziger Mensch, der immer ein offenes Ohr hat. Das macht es leicht, in seine Songs auch eigene Sachen einzubringen. Ich arbeite wirklich gern mit ihm.
Carina: In unserem Interview im vorletzten Jahr erklärtest du, dass die Geräte, ohne die du nicht sein möchtest, dein Wah-Wah-Pedal, dein Volumepedal und das Digital-Delay wären. Hat sich durch die Weiterentwicklung der Digitaltechnik, beispielsweise in bezug auf Soundmodelling, etwas in deinen Vorlieben geändert?
Eivind: Nein (lacht), so gehe ich an die Sachen auch nicht ran – es hat sich zwar computermäßig eine Menge getan, aber, was die Gitarre betrifft, ist seit vielen Jahren aus meiner Sicht nichts wesentliches passiert. Also sind die genannten Geräte auch immer noch meine Hauptwerkzeuge, aber ich benutze sie anders und finde auch immer wieder neue Wege, sie einzusetzen.

aus: jazzdimensions

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EIVIND AARSET -  SONIC CODEX

Eine alte Weisheit besagt: Aller guten Dinge sind drei. Doch wenn man sich Eivind Aarsets viertes Album "Sonic Codex" so anhört, ist man versucht, den Spruch etwas salopp zu ergänzen: Und das beste Ding ist Nummer vier. Denn nach drei durchweg starken Alben, die von der internationalen Jazzkritik mit selten einhelliger Begeisterung aufgenommen wurden, liefert der norwegische Gitarrist nun mit "Sonic Codex" ein noch stärkeres und zugleich höchst abwechlungsreiches Album ab.

Als Eivind Aarset 1998 mit seinem Album  "Électronique Noire" bei Jazzland Recordings debütierte, erhielt er das wahrscheinlich schmeichelhafteste Lob ausgerechnet vom Jazzkritiker der ehrwürdigen New York Times: dieser bezeichnete "Électronique Noire" als "eines der besten elektrischen Jazzalben seit Miles Davis". Der All Music Guide attestierte dem Gitarristen, einen neuen Standard für Fusionmusik gesetzt zu haben. Als Aarset drei Jahre später mit "Light Extracts" sein zweites Album herausbrachte, hieß es an gleicher Stelle, das Album sei allen anderen Veröffentlichungen dieses Genres um Lichtjahre voraus. Weitere drei Jahre danach folgte das Album "Connected" (2004), das den BBC-Kritiker Chris Jones zu der Bemerkung veranlaßte, daß Jazzland Recordings mit diesem Album wieder einmal dem eigenen vorlauten Anspruch, eine neue Jazzkonzeption zu präsentieren, gerecht geworden sei.

Daß Eivind Aarset die Jazzwelt mit seinen Alben immer wieder aufs Neue überrascht, liegt vielleicht auch daran, daß er sich jedesmal drei Jahre Zeit läßt, bevor er ein neues präsentiert. So hat er reichlich Zeit, neue Inspiration zu finden, seine Ideen wirklich ausreifen zu lassen und auch einen gewissen Abstand zu der Musik seines letzten Albums zu gewinnen.

Viele der neuen Kompositionen von "Sonic Codex" besitzen geradezu kinematographische Qualitäten und dürften im Kopf des Hörers unterschiedlichste Szenarien entstehen lassen. Vor dem inneren Auge werden dabei aber keine (die üblichen norwegischen Klischees bedienenden) Bilder von nordischen Schnee- und Eislandschaften vorbeiziehen, sondern eher von unter südlicher Sonne flirrenden kargen Weiten, aus denen wie Fata Morganas immer wieder wunderbare Melodien aufsteigen und sich wieder verflüchtigen, oder von hektischen Großstadtdschungeln, in denen man allerdings stets auch überraschende Oasen der Ruhe findet. Durch dieses ständige Spiel mit Kontrasten bleibt Eivind Aarsets Musik unberechenbar und zugleich ungeheuer fesselnd. Zu den Höhepunkten des neuen Albums gehört zweifellos das wunderbar eingängige, irgendwie recht vertraut klingende "Still Changing". Tatsächlich basiert das Stück auf den musikalischen Genen von "Empathic Guitar", einer Nummer von Aarsets zweitem Album "Light Extract", die der Gitarrist auf "Connected" schon einmal in einem gänzlich anderen Gewand als "Changing Waltz" präsentiert hatte. Es ist schon erstaunlich, wie raffiniert Eivind Aarset dieses musikalische Thema sowie die Harmonien und Rhythmen des Originals zu variieren versteht.

Eingespielt hat Eivind Aarset die neun Kompositionen von "Sonic Codex" in erster Linie mit dem Schlagzeuger Wetle Holte (Wibutee) sowie den alternierenden Bassisten Audun Erlien (Nils Petter Molvær, Bendik Hofseth) und Marius Reksjø (Beady Belle).  Einige besondere Akzente setzen aber auch der Klarinettist Hans Ulrik und Banjospieler Tor Egil Kreken, der im erwähnten "Still Changing" zu hören ist. Mit der aufregenden Musik von "Sonic Codex" beweist Aarset einmal mehr, daß er einer der innovativsten Vordenker des zeitgenössischen Jazz ist.