Einer der einfallsreichsten Jazzmusiker unserer Tage ist der italienische Klarinettist und Altsaxophonist Gianluigi Trovesi. Trovesis Musik ist eklektisch (oder, wenn's denn sein muss, postmodern). Er spielt mit den unterschiedlichsten Besetzungen und holt sich seine Anregungen aus diversen Folkloren, aus der "Klassik" und aus der Jazzgeschichte. Trovesi liebt das Dramatische, Tonmalerische, und seine Auftritte haben auch stets Humor, der sich freilich aus der Musik heraus, nicht aus Äußerlichem begründet.
In der örtlichen Blaskapelle begann die Karriere des piemontesischen Klarinettisten, Altisten und Komponisten, der in seiner Jugend Tanzmusik ebenso gerne spielte wie Jazz und da wiederum - man hört es heute noch - so gegensätzliche Künstler wie Benny Goodman und Eric Dolphy verehrte. Denkt man sich dazu ein profundes Studium Alter und Neuer Musik, eine große Liebe zur Folklore, nicht nur zur heimischen, eine nie zu stillende Neugier und einen riesigen Schuss Humor, mit der all diese Quellen für die eigene Musik fruchtbar gemacht werden, dann ahnt man etwas von seinem Radius, ist aber immer noch nicht vorbereitet auf all die Kurzweil, die ein Album wie "Fugace" bietet.
"Fugace" heißt "flüchtig" und ist ein guter Verweis auf Trovesis Musik, die nicht nur wie jeder Jazz vom Improvisatorischen lebt, sondern wie ein Kaleidoskop sich ständig wechselnder Bilder erscheint. Mit all seinen überraschenden Wendungen, die wie filmische unerwartete Schnitte und Blenden wirken und all seinen Referenzen von Barock bis Rock ist es mehr als ein typisches Trovesi-Album geworden: ein quintessentielles, in dem viele Fäden aus früheren Werken zusammenfließen. Mit dem "Sogno d’Orfeo" etwa wird die für das Orchestre National de Jazz komponierte Monteverdi-Hommage "Sequenze Orfiche" weitergesponnen; hier führt ein frühbarockes Harmoniegerüst direkt nach Dixieland. Nach 17. Jahrhundert klingt es dafür dann dort, wo man es am wenigsten erwartet, in Bläserpassagen des "African Tryptich", in dessen zweitem Satz Trovesi dann wie ein ornetter Schlangenbeschwörer klingt. Immer wieder ist zwischen den einzelnen Szenen, denn so möchte man die Stücke intuitiv nennen, ein "Siparietto" (ein kleiner Vorhang) zu vernehmen: das Stück klingt, als stamme es aus der Feder Scarlattis, womit Trovesi bei seinem für das Italian Instabile Orchestra komponierten "Scarlattina" ansetzt. Wer Trovesis Musik kennt, wird also auf viele vertraute Motive stoßen. Auch oder vielmehr gerade ein so sehr nach Abwechslung dürstender Musiker wie Trovesi kommt nicht ohne Fixpunkte aus. Sie sind aber kaum mehr als Startrampen, von denen aus es überall hingehen kann.
Ein überraschender Fixpunkt des Albums ist Louis Armstrong, den der Trompeter Massimo Greco bisweilen evoziert. Armstrongs Einleitung zum "West End Blues" versteckt sich im "Canto di lavoro", ein Arbeitslied, das nicht nur nach schwarzem "Worksong" klingt, sondern auch mit industriegeräuschhafter Elektronik aufwartet und im "Blues And West", der im Übrigen wie eine Verbeugung vor Ornette Coleman klingt. Eindeutig eine Verbeugung vor Satchmo ist "Ramble".
Besondere Erwähnung verdient die ungewöhnliche Besetzung des Oktetts: Zwei Blechbläser, zwei "holzige" Instrumente, zwei Bassisten, zwei Schlagwerker - fast möchte man es Doppelquartett nennen, handelt es sich doch um etwas ganz anderes als eine normale Jazzrhythmusgruppe mit Solisten. Gianluigi Trovesi und seine Kollegen, der Posaunist Beppe Caruso, der Trompeter Massimo Greco, der Cellist Marco Remondini, die Bassist Roberto Bonati und Marco Micheli, der Perkussionist Fulvio Maras und der Drummer Vittorio Marinoni haben mit "Fugace" ein Album vorgelegt, dem trotz des Titels, den man auch mit "kurzlebig" übersetzen kann, ein lang anhaltender Erfolg beschieden sein dürfte.
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Seit Gianluigi Trovesi vor rund zehn Jahren sein Oktett gründete, hat sich dieses Ensemble - neben dem gefeierten Duo mit Gianni Coscia, dessen Album "In Cerca Di Cibo" 1999/2000 einer der größten ECM-Erfolge war - zu der Formation entwickelt, in der der italienische Klarinettist und Saxophonist seine Fähigkeiten als Komponist und Arrangeur sowie seine Brillanz als Instrumentalist am besten zur Geltung bringen kann. Das Oktett, das nun mit "Fugace" sein erstes Album für ECM einspielte, hat einiges - etwa den Spielwitz und den gewagten Sinn fürs Parodistische - mit dem Duo gemein, verfügt dank der größeren Besetzung aber über eine sehr viel breitere Ausdruckspalette.
Darüberhinaus ist die Besetzung des Oktetts untypisch: Es ist eigentlich ein Doppel-Quartett, das mehr mit dem Ensemble gemein hat, das Ornette Coleman einst für sein Album "Free Jazz" zusammenstellte, als mit einer verschlankten Big-Band. Vom Klang her erinnert das Gianluigi Trovesi Ottetto mitunter an gewisse Bands von Charles Mingus oder auch Duke Ellingtons Experimente mit zwei Bassisten - allerdings hat ein ganz eigenes, typisch italienisches Flair.
An "vorderster Front" stehen die vier Solostimmen von Gianluigi Trovesi (Klarinetten & Altsax), Massimo Greco (Trompete & Flügelhorn), Beppe Caruso (Posaune) und Marco Remondini (Altsax), die nur selten als Bläsersektion im herkömmlichen Big-Band-Stil agieren. Stattdessen spielen sie komplexe Arrangements mit oftmals verschlungenen Polyphonien. Die Rhythmusabteilung besteht aus vier Musikern: zwei Bassisten, einem Schlagzeuger und einem Perkussionisten. Während Marco Micheli zwischen elektrischem Baß und Baßgitarre alterniert, spielt Roberto Bonati seinen Kontrabaß mal mit dem Bogen und dann wieder pizzicato. Auch Schlagzeuger Vittorio Marinoni und Perkussionist Fulvio Maras, der in seinem Arsenal sowohl akustische als auch elektronische Perkussionsinstrumente hat, verfügen über eine große Klangpalette. Die vier Rhythmiker eröffnen Trovesi zahllose Möglichkeiten, das rhythmische Fundamente für seine Kompositionen zu variieren.
Für "Fugace" komponierte Gianluigi Trovesi Stücke, die auf wunderbare Weise die gesamte Jazzgeschichte reflektieren. Einen sehr zeitgenössischen Einschlag erhält die Musik darüberhinaus durch die elektronischen Instrumente und Geräte, die von Flavio Maras, Marco Remondini und Massimo Greco eingesetzt werden.