Geboren 1964 in Linz. Theater-Engagements am Theater Phönix Linz, Stadttheater Klagenfurt, Theater der Jugend Wien, Theater Hausruck OÖ, Volksbühne Berlin. Seit 1997 Leitungsteam Projekttheater Vorarlberg. Spielfilme (Auswahl): Indien/Paul Harather, Ameisenstrasse/Michael Glawogger, Twinni/Ulrike Schweiger, Hundstage/Ulrich Seidl, Wolfszeit/Michael Haneke, Hurensohn/Michael Sturminger, Sophie Scholl – Die letzten Tage/Marc Rothemund, Import-Export/Ulrich Seidl, Paradies: Glaube/Ulrich Seidl. Spezialpreis der Jury für die Rolle „Anna“ in Hundstage/Seidl bei den Filmfestspielen Gijon/Spanien, Shootingstar Berlinale 2003
Wie gut, dass es Maria gibt
Die Schauspielerin Maria Hofstätter ist eine Type.
Aber sie lässt sich nicht auf einen Typ festlegen
ein launiges FALTER-portrait aus dem jahre 2013
on Wolfgang Kralicek
Die Maria Hofstätter aus Linz ist eine blöde Kuh. Die Schauspielerin Martina Spitzer jedenfalls hat keine guten Erfahrungen mit ihr gemacht. Spitzer war in ihrer Jugend Leichtathletin, Hofstätter ihre schärfste Konkurrentin. „Und sie hat immer nur bös geschaut.“
Als ihr 25 Jahre später angeboten wurde, mit einer Kollegin namens Maria Hofstätter ein Zweipersonenstück zu spielen, reagierte Spitzer entsprechend reserviert. Doch dann stellte sich heraus, dass die Schauspielerin Maria Hofstätter mit der Nachwuchsleichtathletin aus Linz nur den Namen gemeinsam hat. Das Stück, bei dem Spitzer und Hofstätter einander kennenlernten, hieß „weiter leben“ – nach dem autobiografischen Buch der Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger, die darin von ihrer Jugend im KZ berichtet.
In Nika Sommereggers Inszenierung bringen die zwei Schauspielerinnen das Buch als subtiles Textkonzert für zwei Stimmen auf die Bühne. „Stimmen, die schreien wollen, lachen und weinen, so viele Stimmen im Kopf, die Erinnerung ausmachen, die Darstellerinnen machen sie eindrucksvoll sichtbar“, lobte die FAZ, als das Stück in Darmstadt gastierte.
Premiere hatte „weiter leben“ im Mai 2001 im Konzerthaus-Theater. Ein paar Monate später wurde bei der Biennale in Venedig jener Film mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet, der Maria Hofstätter international bekannt machen sollte. In Ulrich Seidls Episodenfilm „Hundstage“ spielt sie eine offenbar gestörte junge Frau, die sich die Zeit mit Autostoppen vertreibt.
Wird sie mitgenommen, schiebt sie umgehend ihre Lieblingskassette ins Autoradio, durchwühlt Handtaschen und textet den Chauffeur mit sinnlosen Listen („Kennst du die zehn beliebtesten Supermärkte?“), Werbeslogans („Was tät i ohne Kotanyi?“) oder unangenehmen Wahrheiten („Deine Zähnd san scho a bissl komisch!“) zu.
Das intime Porträt der Holocaustüberlebenden und die extreme Performance als Autostopperin: Die beiden erfolgreichen Rollen aus dem Jahr 2001 zeigen die erstaunliche Bandbreite der Schauspielerin Maria Hofstätter, die zwar ohne Zweifel eine Type ist, sich aber nicht auf einen Typ festlegen mag.
„weiter leben“ hat sie über 100 Mal gespielt, zehn Jahre nach der Premiere wurde das Stück vom ORF noch als Hörspiel produziert und von den Hörerinnen und Hörern zum „Hörspiel des Jahres“ gewählt – der krönende Abschluss einer Erfolgsproduktion. Dabei hatte es noch am Tag vor der Premiere eine Schrecksekunde gegeben: Auf einmal stand Ruth Klüger im Theater und bat darum, ihr die Aufführung vorzuspielen. „Wir waren sehr nervös“, erinnert sich Hofstätter. „Das war, glaube ich, die härteste Vorstellung meines Lebens.“
Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die strenge Ruth Klüger damals gesagt hätte: So nicht! Die Premiere wäre wohl abgesagt worden. „Sie war dann aber eh sehr einverstanden“, sagt Hofstätter. „Und als sie uns mit dem Stück später zu einem Symposion eingeladen hat, wusste ich: Das war nicht nur Höflichkeit.“
Die Autostopperin Anna war der Beginn einer äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Regisseur Ulrich Seidl. Seit „Hundstage“ gehört Hofstätter zu seinen Protagonistinnen. In „Import Export“ (2007) spielt sie als Krankenschwester Maria eine wichtige Nebenrolle. Und in „Paradies: Glaube“, dem zweiten Teil von Seidls aktueller Kinotrilogie, trägt sie als erzkatholische Anna Maria den ganzen Film (siehe Rezension auf Seite 26).
Die Fallhöhe zwischen Anna, Maria und Anna Maria ist beträchtlich. Auf die extrem extrovertierte Autostopperin folgte die verhärmte Krankenschwester, deren unterdrückte Aggressionen am Ende explosionsartig zum Ausdruck kommen: Am Rande eines Gschnasfestes in der Geriatriestation eines Krankenhauses stürzt sich Schwester Maria von hinten auf ihre Rivalin, die ukrainische Putzfrau Olga; die Frauen liefern einander einen tragikomischen Ringkampf.
Als Anna Maria wiederum hat Hofstätters Performance etwas Roboterhaftes, Versteinertes. Wie ferngesteuert bewegt sie sich durch den Film; im Streit wirft ihr Ehemann ihr einmal vor, sie habe keine Gefühle.
Den Eindruck hat man auch als Zuschauer, er ist nicht falsch und stimmt trotzdem nicht. Denn Anna Maria begegnet den Menschen (und Tieren!) ihrer Umwelt ja nur deshalb so emotionslos, weil sie all ihre Liebe für Jesus Christus reserviert hat. „Die lebt in ihrem geschlossenen System“, sagt Hofstätter über Anna Maria. „Sie ist wie gehirngewaschen. Da ist nicht mehr viel Platz für eigene Gefühle.“
Noch nie ist ihr eine Rolle so schwer gefallen wie diese. „Die Autostopperin habe ich geliebt, so wie ich generell alle meine Figuren liebe – auch wenn sie einen totalen Schuss haben. Bei dieser Figur aber habe ich wirklich gekämpft. Da bin ich mir selber im Weg gestanden.“
Hofstätter vermutet, dass die eigene Kindheit für die innere Blockade verantwortlich war. „Ich bin streng katholisch aufgewachsen, das prägt einen natürlich. Besonders dieses Sündigen ,in Gedanken, Worten und Taten‘ habe ich als extrem bedrohlich empfunden. Das heißt ja: Man entkommt der Sünde nicht! Schon allein der Gedanke ,Ich möchte die Schokolade stehlen‘ wird für immer notiert.“
Jahrelang hat sie darum gekämpft, sich der Figur anzunähern. Sie ging auf Wallfahrt und ins Schweigekloster, hat mit Abtreibungsgegnern demonstriert und ist – wie sie das jetzt auch im Film macht – mit einer Madonnenstatue von Tür zu Tür gegangen, um die Menschen zu missionieren. Die katholischen Extremisten, denen sie begegnete, seien übrigens sehr hilfsbereit gewesen. „Dabei wussten sie, worum es geht, wir haben sie nicht angelogen. Aber vielleicht hatten sie das Gefühl, dass das mein Weg ist, zurück zum Glauben zu finden.“
Lange Zeit hat das alles nichts genützt, und Seidl überlegte schon, es mit einer anderen Schauspielerin zu versuchen. Hofstätter sollte dafür die damals noch unbesetzte Rolle der Sextouristin in „Paradies: Liebe“ übernehmen. „Wir waren dann gemeinsam in Afrika, da war aber schnell klar: Das geht auch nicht, das hat ihr einfach widerstrebt“, erinnert sich Seidl. „Dann ist ein bisschen Zeit vergangen, und irgendwann hab ich gesagt: So, jetzt probieren wir’s noch einmal.“
Bis zum letzten Drehtag war Hofstätter sich nicht sicher, ob sie der Rolle gerecht würde. Geholfen hat ihr nur das Wissen, dass Seidl selbst ein großer Zweifler ist. „Ich dachte mir: Wenn er einmal halbwegs zufrieden ist, dann wird’s schon okay sein.“ Der Regisseur wiederum meint: „Im Nachhinein muss man sagen, das hätte niemand anderer spielen können.“
Ursprünglich sollte „Paradies“ ein Film mit drei Parallelhandlungen werden; erst am Schneidetisch hat Seidl beschlossen, die drei Geschichten separat ins Kino zu bringen. Als Hofstätter davon hörte, war sie ein wenig erschrocken. „Ich dachte, mein Teil wird dann wohl was für die Hardcore-Seidl-Fans. Als ich den fertigen Film sah, war ich erstaunt, wie humorvoll er ist – zumindest ist er bei weitem nicht so klaustrophob und depressiv, wie ich angenommen hätte.“
Als „Paradies: Glaube“ in Venedig seine Weltpremiere hatte, wurde Ulrich Seidl wegen Blasphemie angezeigt. Anlass war eine Szene, in der Anna Maria mit einem Kruzifix ins Bett geht. „Auch bei Festivals in anderen katholischen Ländern, in Spanien oder in Polen, gab’s immer große Aufregung um diese Szene“, erzählt Hofstätter. „Aber niemand hat sich aufgeregt, dass ich zum Schluss auf Jesus einschlage. Das hat mich schon überrascht, denn für mich war diese Szene beim Drehen viel schwieriger. Aber letztlich sagen auch die Reaktionen viel über die katholische Kirche aus: Gewalt ist nicht das Problem. Sexualität und Liebe sind das Problem.“
Eigentlich könnte „Paradies: Glaube“ auch „Paradies: Liebe“ heißen. „Absolut, die ist wirklich verliebt in Jesus“, bestätigt Hofstätter. „Aber auch das haben wir nicht erfunden. Diese schönen Jesusbilder, dieser Körper am Kreuz – gerade in der katholischen Kirche wird Gott ja stark personalisiert. Und viele Frauen, mit denen ich geredet habe, sagen: ,Das ist der schönste Mann, den es gibt.‘ Dazu kommt: Man wird endlich geliebt, so wie man ist. Was gibt es Schöneres?“
Zum ersten Mal haben Hofstätter und Seidl bereits zehn Jahre vor „Hundstage“ zusammengearbeitet, in einer ORF-Dokumentation über den Linzer Cartoonisten Gerhard Haderer. Im allerersten Filmdreh ihrer Karriere überhaupt verkörperte die Schauspielerin Haderers Nachbarin. Dass sie nur das wiedergab, was sie im Vorfeld bei den echten Nachbarn des Zeichners recherchiert hatte, wurde nicht dazugesagt; schon in diesem frühen Werk vermengte Seidl also lustvoll Facts und Fiction.
Mit ihrem Perfektionismus, ihrem natürlichen Spiel, ihrem Mut und ihrem Improvisationstalent ist Maria Hofstätter eine ideale Seidl-Schauspielerin – „vielleicht die idealste“, meint der Regisseur. „Wenn Schauspieler einen Vorschlag zu ihrer Rolle machen, dann sagt man zwar höflich danke – sie liegen damit aber oft völlig falsch. Das passiert bei ihr nie.“ Ulrich Seidl weiß, was er an Maria Hofstätter hat. „Ich bin mir sicher, dass ich sie bei jedem meiner nächsten Filme wieder einsetzen werde. Ich werde immer etwas für sie finden.“
Maria Hofstätter kommt vom Land. Das ist weder zu überhören noch zu übersehen. Sie stammt aus einer Bauernfamilie in Gramastetten, einem kleinen Ort im Mühlviertel. Unter „besondere Fähigkeiten“ wird im Schauspielerinnen-Profil ihrer Agentur „Beherrschung von bäuerlichen Tätigkeiten (z.B. Kühe melken, Traktor fahren)“ angeführt.
Schon während der Zeit am Gymnasium in Linz spielte Hofstätter Kabarett. „Aber eigentlich ist mir das mit der Bühne eher passiert. Ich wollte Historikerin werden.“ Besonders für die NS-Zeit hat sie sich interessiert.
Ihre Eltern waren nämlich nicht nur strenge Katholiken, sondern auch aufrechte Antifaschisten, erzählte Hofstätter in einem Radio-Wien-Interview: „Als mein Vater von Franz Jägerstätter erfahren hat, war das sein großes Vorbild. Er hat zeitlebens darunter gelitten, dass er nicht so ein Held war und den Krieg mitgemacht hat.“
Mit 18 ging Hofstätter nach Wien und studierte Zeitgeschichte. Kurz vor der Diplomarbeit aber – sie wollte über die Euthanasie-Anstalt in Schloss Hartheim schreiben – brach sie das Studium ab, um sich der Bühnenkarriere zu widmen. „Ich hatte doch schon zu sehr Blut geleckt.“
Die Kabarettkarriere hat sie allerdings nicht weiterverfolgt. Erstens, weil sie selber keine Texte schreibt, und zweitens, weil sie sich nicht ausschließlich auf die Komikerin festlegen lassen wollte. „Ich habe mir gedacht: Na gut, es gibt ja geschriebene Texte – so bin ich zum Theater gekommen. Und nachdem ich als Schauspielerin eine totale Quereinsteigerin war, war mir auch klar: Ich muss das selber produzieren.“
Im Theater hat Hofstätter bisher fast ausschließlich in der freien Szene gearbeitet; seit 1995 leitet sie gemeinsam mit dem Vorarlberger Schauspieler Dietmar Nigsch das Projekttheater Vorarlberg. Die nächste Produktion ist das Dienstbotenstück „Anna und Martha“ von Dea Loher, in dem Hofstätter wieder mit Martina Spitzer spielt (Wien-Premiere: 19.2., Nestroyhof Hamakom). Auch das erfolgreichste Stück des Projekttheaters, Werner Schwabs „Präsidentinnen“ (Premiere: 1996), wird heuer wieder aufgenommen.
Die meisten Projekttheater-Arbeiten werden zwar auch in Wien gespielt. Mindestens so wichtig sind Hofstätter aber die Tourneevorstellungen in der Provinz. „Es ist uns ein Anliegen, auf dem Land Stücke zu zeigen, die dort sonst nicht gesehen würden. Es wäre vermessen zu glauben, dass die Menschen das dort nicht verstehen würden. Absoluter Schwachsinn!“
Als weibliches Mitglied im Team der inzwischen wieder eingestellten Ö1-Satiresendung „Welt Ahoi!“ (2009/10) hat Hofstätter wieder einmal ihre komischen Qualitäten unter Beweis gestellt. Und in David Schalkos achtteiliger Waldviertel-Serie „Braunschlag“ (2012) war sie als Frau des von Robert Palfrader gespielten Bürgermeisters eine der vielschichtigsten, anrührendsten Figuren.
Die biedere Herta lernt im „Streichelzoo“ – einer Art asexuellem Swingerclub – einen unter einem Ganzkörperhasenkostüm verborgenen Mann (Michael Thomas, der auch in „Import Export“ mitspielt) kennen und blüht danach sichtbar auf. Als der Verehrer aber plötzlich vor der Tür steht, wird sie verlegen wie ein Teenager. „Magst du mich?“, will der aufdringliche Galan wissen. „I waß ned“, antwortet Hofstätter so entwaffnend, wie nur sie so etwas sagen kann: „I kenn di ja nur als Has’.“
Als präzise, uneitle Schauspielerin hat Regisseur David Schalko Hofstätter erlebt. „Ich liebe es, mit ihr zu arbeiten, weil sie immer wieder Dinge macht, die nicht vorhersehbar sind. Sie ist sehr genau in ihrer Seelenrecherche. Und sie hat die lustige Eigenschaft, auch in den Drehpausen in ihrer Rolle zu bleiben.“
Letzteres hat sie sich bei Ulrich Seidl angewöhnt. Zur Vorbereitung auf „Hundstage“ etwa hat sie einen Tag lang die Autostopperin gelebt. „Ich dachte mir: Wenn mir die Leute das glauben und mir der Text nicht ausgeht, dann bin ich bereit.“
Im November, bei der Wiener Premiere von „Paradies: Liebe“ im Gartenbaukino, meinte Moderator Dirk Stermann halb im Scherz, er habe es lange Zeit abgelehnt, mit Maria Hofstätter zu arbeiten, weil er dachte, sie sei wirklich so verrückt wie die Autostopperin in „Hundstage“. So etwas hat die Schauspielerin schon öfter gehört, es ist für sie das schönste Kompliment.
Einmal haben in der U-Bahn neben Maria Hofstätter zwei Leute hitzig über die Autostopperin debattiert. „Beide waren davon überzeugt, dass ich behindert bin. Die Frage war nur, ob es okay ist, so jemanden in einem Film zu zeigen.“
neben zahllosen theaterrollen ist auch die
FILMLISTE
mehr als beachtlich.
KINO
1993: Indien – Regie: Paul Harather
1995: Das heilige Mahl (Kurzfilm) – Regie: Leopold Lummerstorfer
1995: Die Ameisenstraße – Regie: Michael Glawogger
1998: Hinterholz 8 – Regie: Harald Sicheritz
1999: Wanted – Regie: Harald Sicheritz
2000: Gelbe Kirschen – Regie: Leopold Lummerstorfer
2001: Hundstage – Regie: Ulrich Seidl
2002: Poppitz – Regie: Harald Sicheritz
2003: Twinni – Regie: Ulrike Schweiger
2003: Wolfzeit – Regie: Michael Haneke
2004: Hurensohn – Regie: Michael Sturminger
2004: Villa Henriette – Regie: Peter Payer
2005: Sophie Scholl – Die letzten Tage – Regie: Marc Rothemund
2005: Shadow of the Sword – Der Henker – Regie: Simon Aeby
2007: Import Export – Regie: Ulrich Seidl
2010: Elf Onkel – Regie: Herbert Fritsch
2011: Wie man leben soll – Regie: David Schalko
2012: Paradies: Liebe – Regie: Ulrich Seidl
2012: Paradies: Glaube – Regie: Ulrich Seidl
2013: Paradies: Hoffnung – Regie: Ulrich Seidl
2013: Dampfnudelblues – Regie: Ed Herzog
2014: Über-Ich und Du (Regie: Benjamin Heisenberg)
FERNSEHN
2001: Trautmann - Episode: Nichts ist so fein gesponnen
2001: Julia – Eine ungewöhnliche Frau - Episode Ein Neubeginn
2004: Mein Mörder – Regie: Elisabeth Scharang
2006: Commissario Laurenti - Gib jedem seinen eigenen Tod – Regie: Sigi Rothemund
2006: Nicht alle waren Mörder – Regie: Jo Baier
2007: Der Bulle von Tölz - Wiener Brut
2008: Tatort - Granit (TV–Reihe)
2010: Die Hebamme – Auf Leben und Tod – Regie: Dagmar Hirtz
2011: Braunschlag – Regie: David Schalko
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EIN PROFIL-INTERVIEW
zu seidls paradies glaube...
Maria Hofstätter: „Mir wurde plötzlich schwarz vor Augen“
Maria Hofstätter, Hauptdarstellerin in „Paradies: Glaube“, über Blasphemie, Blackouts und Blockaden.
Interview: Stefan Grissemann
profil: Auf die Rolle der missionierenden Katholikin, die in „Paradies: Glaube“ mit der Marienstatue von Tür zu Tür geht, haben Sie sich jahrelang vorbereitet.
Hofstätter: Seit 2004, um genau zu sein. Damals machten Ulrich Seidl und ich die ersten Probeaufnahmen. Die Erzählung war einst als Episode für den Seidl-Film „Import Export“ geplant gewesen. Aber damals misslang das. Ich konnte mich auf diese Figur nicht einstellen.
profil: Was lief denn schief?
Hofstätter: Ich hatte Blackouts und völlige Blockaden. Ich musste diese Probleme überwinden. Mir war klar, dass ich den Schalter irgendwie umlegen musste. Das gelang erst spät – und mit großen Selbstzweifeln. Bis zum letzten Drehtag zweifelte ich am Gelingen dieser Szenen.
profil: Sind solche Zweifel nicht auch ein Motor?
Hofstätter: Ich weiß nicht. Im Vorfeld scheiterte ich wieder und wieder; das verunsicherte mich sehr. Ich hatte alles probiert und experimentiert, aber ich merkte, dass da ein emotionaler Widerstand in mir war, diese Figur zu spielen.
profil: Was klappte konkret nicht? War es das halbdokumentarische Zusammenspiel mit den Laien, denen Sie Jesus nahebringen mussten?
Hofstätter: Ich wollte einfach niemanden missionieren. Es widerstrebte mir, dies zu tun. Mir kam da etwas Privates in die Quere, wie mir das in meinem Leben noch nicht passiert war.
profil: Die Rolle der aufsässigen Autostopperin in „Hundstage“ fiel Ihnen leichter?
Hofstätter: Viel leichter. Diese Figur hab ich geliebt, auch weil ich ihr Verhalten entschuldigen konnte: Sie sagt eben jedem einfach die Wahrheit. Anna Maria in „Paradies: Glaube“ ist leider weniger leicht zu mögen. Es ist schwierig, da so etwas wie Empathie herzustellen.
profil : Sie begannen Ihre Arbeit an dieser Rolle 2004, drehten den Film aber erst 2009 und 2010. Sie verbrachten mit Anna Maria somit sechs Jahre Ihres Lebens.
Hofstätter: Glücklicherweise nicht durchgehend. Ich habe eines sehr unterschätzt: Missionarinnen, die sich mit Fremden auf Glaubensstreitgespräche einlassen, verfügen über ein immenses Hintergrundwissen; da muss man wirklich bibelfest sein und auf jede Spitzfindigkeit sofort die richtige katholische Antwort parat haben. Nun wusste ich zwar aus meiner Kindheit auch einiges über den Katholizismus, aber das genügte oft nicht; ich brauchte jene speziellen Antworten, die für christliche Gruppen so typisch sind.
profil: Sie stehen häufig auf der Bühne, seit Mitte der 1990er-Jahre vor allem mit dem Projekttheater Vorarlberg.
Hofstätter: Ich bin sogar hauptsächlich Theaterschauspielerin. Ich liebe den Umstand, dass man am Theater im Schnitt zwei Monate Probenzeit hat und auch nach drei Wochen noch entscheiden kann, eine Rolle ganz anders anzugehen. Man kann an jedem Punkt der Arbeit nachjustieren. Das ist ein Luxus, den man in Film und Fernsehen nicht oft hat.
profil: Sie wurden selbst, wie das auch Ulrich Seidl von sich erzählt, vom Katholizismus sehr geprägt – und beschädigt?
Hofstätter: Ja und nein. Es gab schon Phasen in meiner Jugend, in denen ich unter dem Glaubenszwang sehr gelitten habe. Heute leide ich viel weniger darunter. Aber immer wieder kommen Dinge hoch, von denen ich angenommen hatte, sie längst bewältigt zu haben. Ich verstand lange nicht, warum ich bei den ersten Drehversuchen derart blockiert war. Mir wurde vor der Tür, als die Kamera lief, oft plötzlich schwarz vor Augen, wie kurz vor einem Kreislaufkollaps. Mir fiel nichts mehr ein.
profil: Am Theater ist Ihnen das nie passiert?
Hofstätter: Nicht in dieser Form, nein. Das irritierte auch Seidl sehr. Er verstand nicht, wieso ich plötzlich solche Probleme hatte, auf die Leute zuzugehen. In „Hundstage“ hatte ich das doch auch geschafft.
profil: Aber Seidl blieb stur. Er entließ Sie nicht aus der Rolle.
Hofstätter: Stimmt. Er bemühte sich dann sehr, mir den Druck zu nehmen, ging auf mich ein. Dann legten wir die Rolle auf Eis. Ich spielte in „Import Export“ stattdessen einen ganz anderen Part, eine Krankenschwester. Und erst 2008 nahmen wir die Idee wieder auf. Erneut mit Schwierigkeiten. Mir wäre es gar nicht unrecht gewesen, die Rolle einfach abzugeben.
profil: Sind Sie nachträglich froh, sie doch gespielt zu haben?
Hofstätter: Ja, schon. Aber dazwischen dachte ich oft: Lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Ganz katholisch. Aber es ist ein unglaubliches Privileg, einen Regisseur zu haben, der einen wirklich ernst nimmt und einem über die Jahre hinweg so viel Vertrauen schenkt – immer mit dem Risiko, dass am Ende alles scheitern kann.
profil: Die Figur der Anna Maria ist auch deshalb so interessant, weil sie unter dem Deckmantel der Unterwerfung ja unglaublich anmaßend und egozentrisch ist.
Hofstätter: Das stimmt schon, nur ist ihr dies nicht bewusst. Sie fühlt sich elitär.
profil: Das ist doch an sich schon ein unchristlicher Gedanke.
Hofstätter: Ja, aber die Selbstüberhöhung mischt sich in diesen Leuten oft mit der Opferbereitschaft. Ich habe viel Zeit mit Missionarsgruppen verbracht, ging mit diesen Leuten pilgern, studierte sie genau. Ihr Denken ist sehr widersprüchlich: Einerseits dient man nur, sorgt dafür, dass „dein Wille geschehe“, niemals der eigene. Gehorsam ist dabei absolut notwendig, diese Gruppen sind sehr hierarchisch strukturiert. Zugleich ist man auserwählt. Man darf, im Gegensatz zu anderen, Gott auf diese Weise dienen.
profil: „Paradies: Glaube“ zeigt, wie nah an der Liebe und der Gottesfurcht auch Hass und Krieg liegen.
Hofstätter: Ja, aus Verzweiflung. Aber das kennen wir doch aus der Religionsgeschichte. Das sind geschlossene Systeme. Entweder man ist drin – oder man bleibt draußen. Man versucht, den anderen hereinzuholen; wenn er sich weigert, wird er zum Feind. Das ist das Problem.
profil: Die heftige Ehekrise, die Sie mit Ihrem muslimischen Filmpartner Nabil Saleh zu spielen haben, ist eine Art Kampf der Kulturen im Miniformat.
Hofstätter: Das ist eher ein Beziehungsdrama als ein Religionskampf. Denn der Mann, den Nabil spielt, würde an dieser Frau auch durchdrehen, wenn er nicht religiös wäre.
profil: Ultrakonservative italienische Gruppierungen brachten unmittelbar nach der Weltpremiere des Films in Venedig eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wegen Blasphemie ein – nicht nur gegen Ulrich Seidl und die Koproduzenten des Films, sondern auch gegen Sie als Darstellerin. Waren Sie schockiert?
Hofstätter: Nicht besonders. Das kam ja nicht von der Kirche, sondern von echten Fundamentalisten. Allerdings hatte ich nicht mit so viel medialer Aufmerksamkeit gerechnet. „Sex mit Kreuz“, hieß es in den Zeitungen: Darunter stelle ich mir aber etwas anderes vor als meine kleine Szene mit Kruzifix unter der Bettdecke.
profil: Sieht Seidl in dem Blasphemie-Eklat nicht sogar einen guten Werbeeffekt?
Hofstätter: Sensationalismus hat dieser Film gar nicht nötig. Es ist auch irreführend, denn wilde Blasphemieszenen wird man in „Paradies: Glaube“ vergeblich suchen. Wir entwürdigen da ja keine religiösen Symbole. Das ist der sublimierte Liebesakt einer Jesus-Fanatikerin. Sie will ihren Jesus nicht verletzen.
profil: Aber die Darstellung einer Masturbation mit Kruzifix ist natürlich blasphemisch.
Hofstätter: Das finde ich nicht. Es geht da nicht um Jesus, sondern um diese Frau. Um ihre seltsame Beziehung zu Gott. Um einen fehlgeleiteten Menschen. Gott selbst wird in diesem Film nicht kritisiert, nur der Fanatismus.
profil: Und dann gibt es die Szene, in der Sie aus Verzweiflung auf den Gekreuzigten einschlagen.
Hofstätter: Ja, aber die scheint keinen von denen, die uns da Blasphemie unterstellten, zu interessieren. Was mich doch sehr verwundert.
profil: Sex erregt eben mehr Aufsehen.
Hofstätter: Genau. Gewalt ist dagegen kein Problem. Schon seltsam.
Zur Person
Maria Hofstätter, 48, tritt neben ihrer Arbeit am Theater und im Fernsehen („Braunschlag“) seit mehr als 20 Jahren in Ulrich Seidls Filmen auf. Sie war u. a. in „Hundstage“ (2001), „Import Export“ (2007) und in Seidls Theaterdebüt „Vater unser“ (2004) zu sehen. In „Paradies: Glaube“ spielt sie nun eine katholische Fundamentalistin, die sich in einen häuslichen Krieg mit ihrem muslimischen Ehemann verstrickt.