MARCUS MILLER
Geboren und aufgewachsen in Brooklyn, New York, war erstmal der gleichaltrige Michael Jackson das erste Idol des Bassisten und begann im Alter von acht Jahren unterstützt von seinem Vater, der in der Kirche Klavier und Orgel spielte, Klarinette zu lernen. Nach formaler und informeller Ausbildung sattelte Miller auf die Baß-Gitarre um, weil nur sie eine rasche Integration in Funkbands versprach. Seine Lektionen zu gleichen Teilen von Schulen und Straße erhaltend, brach Miller bald auf, um sich als professioneller Musiker zu probieren. Seine ersten Plattenaufnahmen hatte er bereits als Sechzehnjähriger mit Lenny White und als Siebzehnjähriger mit Lonnie Liston Smith. Eine Karriere als Studiomusiker begann. Zu den Arrangements von Größen wie Dave Grusin, Bill Eaton, Bob James, Arif Mardin und Leon Pendarvis entwickelte Miller sein unnachahmliches, sehr sinnliches Baßspiel gut bezahlt weiter. Mit 22 Jahren hatte er, stark beeinflußt durch die unkonventionellen Einsichten seines Bassisten-Freundes Jaco Pastorius, seinen eigenen Stil entwickelt. In der Folge spielte er mit Kapazitäten wie Miles Davis, Lonnie Liston Smith, Luther Vandross, Tom Browne, Grover Washington Jr., Charles Earland, Dizzy Gillespie, Crusaders, Frank Sinatra, Georg Benson, Chaka Khan, Bob James, Herbie Hancock, Aretha Franklin, Weldon Irvine und David Sanborn. Sein aktuelles Album ist "M2" betitelt und präsentiert Miller als überlegenen Interpreten von zeitgenössischem R&B und Pop sowie klassischem Jazz, mal sanft dann wieder ausufernd funky.
CONCERTO. TITELGESCHICHTE UND INTERVIEW
Marcus Miller
Der Mann mit Hut meldet sich zurück
Er war sechzehn, als er das erste Mal im Studio stand. In der Folge wirkte er bei unzähligen Alben mit. 1981 erhielt er einen Zettel mit der Nachricht: „Call Miles“. Zwei Stunden später war der junge Bassist mit Miles Davis im Studio. Diese Sessions sollten Bestandteil des Albums „The Man With The Horn“ werden. Es folgte eine intensive Zusammenarbeit, in der Marcus Miller nicht nur viele Kompositionen für Miles lieferte, sondern auch einige seiner Platten produzierte. Mit „M2“ hat Marcus Miller nun das sechste Album unter seinem eigenen Namen herausgebracht.
Marcus Miller, in Queens geboren und aufgewachsen, ist bereits erblich vorbelastet: sein Großvater Priester und Pianist, sein Vater Organist, der Cousin seines Vaters kein Geringerer als Wynton Kelly. Miller begann mit der Klarinette und entschied sich schließlich im Alter von dreizehn für die Bassgitarre. Begeistert vom Jazz und Funk der 70er Jahre ließ Miller keine Gelegenheit aus auf Jam-Sessions zu spielen. Seine ersten Aufnahmen und seine erste Tour machte er mit der Band des Schlagzeugers Lenny White. Marcus Miller war als Studiomusiker bald sehr gefragt, spielte unter anderem für Grover Washington Jr., Dave Grusin, Bob James, David Sandborn und Aretha Franklin. Anfang der 80er Jahre traf er auf Miles Davis. Nach „The Man With The Horn“, „We Want Miles“ und „Star People“ widmete Miller sich verstärkt seinen eigenen Projekten und brachte seine Alben „Suddenly“ (1983) und „Marcus Miller“ (1984) heraus. 1986 schließlich begann erneut eine intensive Zusammenarbeit mit Miles Davis. Miller trat als Multiinstrumentalist, Komponist und Produzent der Miles-Davis-Alben „Tutu“, „Music From Siesta“ und „Amandla“ in Erscheinung. Miles Davis war es auch, der Miller wieder dazu brachte, zur Bassklarinette zu greifen. Geprägt vom Rhythm & Blues der 70er Jahre entwickelte Marcus Miller an der Bassgitarre einen unverwechselbaren Stil und eine eigene Technik des „Thumb and Pluck“-Spiels (oft kopiert – nie erreicht!). Miller versteht es meisterhaft, harte Funkrhythmen mit lyrisch-melodiösen Soulelementen zu kombinieren. Mit „M2“ meldet sich ein Meister seines Faches wieder zu Wort und wartet mit einer Starbesetzung auf: Herbie Hancock, James Carter, Kenny Garrett, Maceo Parker, Branford Marsalis, Chaka Khan, Raphael Saddiq, Hubert Laws, Michel „Patches“ Stewart u.v.a.
Es ist nun bereits vier Jahre her, dass du dein letztes Album „Live And More“ herausgebracht hast. Warst du zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt oder hast du absichtlich so lange gewartet?
Ich wollte wirklich abwarten um etwas ganz Besonderes herausbringen, aber so lange sollte es natürlich nicht dauern. Ich habe sehr viel in meinem Leben verändert, hab mein Management gewechselt, ein Studio gebaut. Dadurch hat sich alles ein wenig verzögert. Im Nachhinein betrachtet war das gut für mich, ich konnte mich wirklich auf das konzentrieren, was ich verändern wollte.
Wie sieht’s mit deiner Musik aus?
Ich glaube, meine Art zu arrangieren, ist sparsamer, mein Klang organischer geworden. Was mein Bassspiel betrifft, so hoffe ich doch, dass ich immer besser werde und mit jedem neuen Album reifer klinge.
Auf „M2” hast du einige Stücke gecovert. Warum hast du gerade diese ausgewählt?
An „Burning Down The House“ von den Talking Heads mag ich den Rhythmus. Der Song hat eine irrsinnige Spannung. Er war immer einer meiner Favoriten, außerdem ist es ein gutes Stück zum Jammen. An John Coltranes „Lonnie’s Lament“ liebe ich die Melodie. Überhaupt stehe ich auf diese Schaffensperiode von Trane. Das war eine ungeheuer spirituelle Phase.
Glaubst du, dass dein jüngeres Publikum weiß, wer John Coltrane oder Charles Mingus waren?
Nein, aber ich finde es schön den jungen Leuten diese klassische Musik auf eine Art und Weise näher zu bringen, die sie verstehen, ohne damit herablassend zu wirken. Ich glaube, dass es auch wichtig ist, Vergangenheit in die Gegenwart zu bringen. Ich versuche diese Musik immer in einem zeitgenössischen Sound zu präsentieren.
Wenn du dich entscheidest ein Stück zu covern oder wenn du gerade ein Stück komponiert hast, denkst du bereits zu diesem Zeitpunkt an die Besetzung?
„Your Amazing Grace“ habe ich ursprünglich live immer mit meiner Bassklarinette gespielt. Irgendwann, als sich das Stück dann nach einigen Auftritten weiterentwickelt hat, dachte ich daran, dem noch etwas ganz Besonderes hinzuzufügen. So kam ich auf Chaka. Was „Good Bye Pork Pie Hat“ von Charles Mingus betrifft, so habe ich immer davon geträumt, es mit Herbie Hancock zu spielen. Ohne ihn hätte ich es wahrscheinlich nicht aufgenommen.
Beeinflussen die einzelnen Musiker im Nachhinein noch deine Arrangements?
Viele Änderungen werden auf Wunsch der Musiker gemacht. Einige Songs habe ich mit ihnen ohnehin schon live gespielt. Wenn man dann ins Studio geht, hat sich die Musik und das Arrangement im Vergleich zum Zeitpunkt der Komposition bereits ein wenig geändert. Ich versuche immer einen Mittelweg zu finden, zwischen dem, was ich in meinem Kopf habe, und dem, was die Musiker hineinbringen.
Was kannst du über die Musiker von „M2“ sagen?
Was ich an allen Musikern des Albums schätze, ist die Tatsache, dass sie alle sehr starke Persönlichkeiten sind. Jeden Einzelnen von ihnen erkennst du nach nur wenigen Tönen. Ich glaube, das ist etwas Besonderes, denn viele Musiker arbeiten ihr ganzes Leben lang hart und erreichen das nie. Ich mag diese Mischung aus deren Individualität und meiner Musik.
Es gibt ein paar Nummern auf „M2”, die wirkliche Ohrwürmer sind, z.B. „Boomerang“, „It’s Me Again“ oder „Your Amazing Grace“. Was glaubst du, macht eine gute Melodie aus?
Ein Kriterium dafür, warum eine Melodie „funktioniert“, ist sicher, dass sie dir nicht mehr aus dem Ohr geht. Bei diesen Songs geht es darum, die Geschichte über die Melodie zu erzählen. Die Melodie ist alles. In anderen ist der Rhythmus wichtiger und die Melodie tritt in den Hintergrund.
Wie würdest du „Groove” definieren?
Ein Stück groovt, wenn der Rhythmus sich nicht verändert und man das Gefühl hat, dass die Sache immer größer und größer wird, wie ein Schneeball, der den Hügel hinunterrollt.
„M2” bedeutet – abgesehen von deinen Initialien – „Music For The 2nd Millennium”.
Wie würdest du mit Worten beschreiben, wie die Musik des zweiten Jahrtausends sein wird?
Ich kann das nur für mich selbst beantworten. Meine Musik reflektiert einerseits die Vergangenheit und drängt gleichzeitig nach vorne. Ich kombiniere etwa eine alte Melodie mit Beats von heute, arbeite mit Sounds, die dich wissen lassen, dass es sich um Musik für heute, und nicht für die Vergangenheit handelt.
Stilistisch scheinst du sehr konsequent deinen Weg im – wie du es selbst nennst – „Funk/Jazz” zu gehen. Inwieweit beeinflussen dich musikalische Modeerscheinungen?
Sie beeinflussen meine Arbeit natürlich schon. Es gibt immer neue Dinge, die ich versuche, in meine Musik einzuarbeiten. Aber diese dürfen nicht überhand nehmen. Das wäre ein fataler Fehler – zumindest sehe ich für meine Musik die Sache so.
Du beginnst in Kürze deine Tour, spielst Konzerte in den USA, in Japan und Europa. Siehst du diese anstrengenden Touren als einen Nachteil des Musikerlebens oder genießt du es „on-the-road“ zu sein?
Ich mag es, auf der Bühne zu sein und meine Musik für die Leute zu spielen. Was ich nicht wirklich genieße, sind all die Flugzeuge und Hotels. Aber das ist nur ein Teil davon. So ist das Leben. „You must get through the hard stuff to get to the good stuff!“.
Wie sieht die Tourbesetzung aus?
Da wären die Brown-Boys – Jerry Brown am Schlagzeug, Dean Brown an der Gitarre –, Michael „Patches“ Stewart an der Trompete, am Saxofon Roger Byam, dann noch einige Typen, die bereits in meiner Band waren, aber es sind auch ein paar neue dabei. Ich glaube jedenfalls, es wird ganz interessant.
Siehst du in den technischen Möglichkeiten, die einem Musiker heute zur Verfügung stehen, auch eine gewisse Gefahr, was die musikalische Qualität betrifft?
Da verhält es sich so ähnlich wie bei den Modeerscheinungen. Das Wichtigste ist, dass die Musikalität stark genug ist, um nicht von der Technik in den Hintergrund gedrängt zu werden. Die Dinge, die es heute gibt, sind ja wirklich großartig, für mich revolutionär, aber du musst dabei verdammt aufpassen. Wenn man meine Musik hört, so hoffe ich, dass man nicht an die Technik, die ich benutze, denkt. Es soll einfach nach Musik klingen.
Warum benutzt du so häufig den DrumComputer?
Ich mag einfach den Sound. Vielleicht liegt das daran, dass ich rhythmisch sehr R&B-orientiert bin. Im R&B in den 80er Jahren – ob man es mag oder nicht – war die Drum-Machine ein wichtiger Bestandteil des Sounds. Es ist etwas völlig anderes und mit einem Schlagzeug nicht zu vergleichen. Für manche Stücke mag ich lieber den Sound einer Drummachine, für andere eben lieber ein Schlagzeug. Wenn man sich ein Album von mir anhört, wird man immer von beidem etwas finden. Es geht ja nicht darum, den Leuten etwas vorzumachen. Beim Stück „Lonnie’s Lament“ etwa, da ist es ganz eindeutig: bäng! – das ist eine Drummachine, bei anderen Songs weiß man gleich, da ist ein Schlagzeuger am Werk.
Die Bassgitarre ist ein Instrument mit einer mehr oder weniger kurzen Geschichte. Glaubst du, dass dir das mehr Freiheit gibt, damit zu experimentieren?
Ja, ganz sicher. Wenn du Klavier spielst, gibt es nicht viel, das du neu erfinden kannst. Es hat beinahe alles schon gegeben, ich meine technisch. Aber die Bassgitarre ist jung und da kann man noch neue Dinge machen. Das Problem dabei ist, dass es eben ein Bassinstrument ist und hauptsächlich dafür gemacht ist zu unterstützen. Es ist also schwierig, etwas als Lead-Artist damit zu machen. Es benötigt eben einfach ein wenig Extra-Arbeit.
Ich glaube, man kann sagen, du hast das ganz gut hingekriegt! Wie hast du eigentlich die „thumb-and-pluck”-Technik gelernt?
Ich habe sehr viel Sly & the Family Stone und Larry-Graham-Platten gehört. Er spielte in dieser Band Bass. Ich habe anfangs sein Spiel imitiert und erst langsam zu meinem eigenen Stil weiterentwickelt. Das haben damals viele andere Bassisten auch gemacht. Ich habe versucht Schlagzeug-Rythmen in mein Spiel zu integrieren.
Welche anderen Bassisten haben dich besonders beeinflusst?
Stanley Clarke, Jaco Pastorius, Anthony Jackson, Alphonso Johnson – er spielte vor Jaco bei Weather Report –, der großartige Pops Popwell – spielte bei den Crusaders in den 70ern – James Jamerson und viele andere.
Du spielst auch akustischen Bass, wie zum Beispiel im Stück „Boomerang“. Wo siehst du die größten Unterschiede zwischen den beiden Bässen?
Der „Upright“ ist nur schwerer zu tragen und du musst in New York ein spezielles Taxi finden, damit du zum Gig kommst. Nein, Spaß beiseite: die Sache mit dem akustischen Bass ist die, dass seine Töne viel schwerer sind. Das heißt, du musst nicht so viel spielen um sagen zu können, was du zu sagen hast. DieTöne haben einfach mehr Gewicht. Wenn ich ihn spiele, muss ich mich oft selbst einbremsen. Aber ich bin nun eben einmal ein Bassgitarrist. An der Bassgitarre brauche ich mir auch nie darüber Gedanken zu machen, ob ich etwas technisch spielen kann oder nicht. Ich spiele den „Upright“ nur zum Spaß, er ist gut zum Jammen und ich liebe seinen Sound.
Du schreibst auch Filmmusik. Was reizt dich an dieser Arbeit?
Das Interessante dabei ist, dass ich durch die unterschiedlichsten Stimmungen gehen muss, mit so vielen Klangfarben arbeiten muss. Immer wieder entdecke ich neue Dinge, die mich so faszinieren, dass ich sie dann auch für meine eigenen Projekte verwende. Wenn du dir „M2” anhörst, dann findest du da zum Beispiel Streichquartette. Ich habe wirklich erst durch die Filmmusik die Sounds von Streichinstrumenten und Holzblasinstrumenten schätzen und lieben gelernt. Die Filmmusik hat mich einfach offener gemacht und mir geholfen zu wachsen.
Bleibt dabei eigentlich noch viel künstlerische Freiheit?
Es ist heikel, das stimmt. Die Filmleute sind keine Musiker. Die konzentrieren sich voll auf den Film, und nicht auf die Musik. Du musst sehr kreativ sein in der Art und Weise, wie du den Leuten deine Musik präsentierst.
Wenn du auf deine Arbeit mit Miles Davis zurückblickst: worin liegt für dich der größte Gewinn?
Ich habe durch ihn Zuversicht und Selbstvertrauen gewonnen. Im Grunde gab er mir seinen Segen. Ich konnte mit dem Bewusstsein hinausgehen, dass das, was ich tue, von ihm anerkannt wird. Das hat mir wirklich viel bedeutet, vor allem damals, als ich noch jünger war.
Du arbeitest hauptsächlich in L.A. und N.Y. Gibt es auch irgendwelche Berührungspunkte mit der europäischen Szene?
Ich pflege den Kontakt mit vielen Musikern in Frankreich, vor allem mit afrikanischen Musikern. Ich halte mich auch immer auf dem Laufenden, was sich so in der Londoner Szene tut – von da kommen doch immer wieder neue Dinge. In diesem Sommer werde ich hoffentlich noch Gelegenheit haben mich ein wenig umzuschauen. Ich mag Europa sehr gerne. Ich liebe Amsterdam. Es gibt ja sehr viele afro-amerikanische Musiker, die zum Beispiel in Deutschland leben und sich dort sehr wohl fühlen. Ich könnte mir das auch gut vorstellen, müsste mich natürlich zuvor etwas intensiver mit der Sprache auseinander setzen.
Welche Projekte hast du nach der Tour geplant?
Ich werde ein weiteres Album von Patches Stewart produzieren. Wir haben bereits damit angefangen, das will ich noch gerne fertig machen. Ideen für eine neue CD gibt es natürlich auch schon. Aber jetzt will ich erst einmal auf Tour gehen. Vielleicht werde ich ein völlig anderer Mensch sein, wenn ich zurückkomme. So viele Dinge passieren mit einem, die dann dein Denken und deine Musik verändern. Wir werden sehen.