Wir schreiben das Jahr 2000. Ein Reggae-Dance irgendwo zwischen Toronto und Kingston, zwischen Tokyo und Sydney, zwischen Stockholm und Rom. Ein Soundsystem spielt. Es ist früh am Morgen. Aus den Boxen blubbert der "Stir It Up"-Riddim, dazu ertönt eine Stimme: "If love so nice ..." Der Selector zieht am Mischpult den Regler herunter, er weiß, es werden alle mitsingen. "... Tell me why it hurt so bad?" schallt es ihm wie zur Antwort aus allen Kehlen entgegen. Arme werden in die Luft geworfen, der Selector nimmt dem Tonarm hoch, setzt die Nadel an den Anfang der Platte zurück. "Let's play it twice, 'cause it too nice!" Also nochmal von vorn.
Mit "If Love So Nice" erklimmt Junior Kelly 2000 in den jamaikanischen Charts für 15 Wochen den Thron. Er entert die Plattenkisten und Plattenteller der Reggae-Selectors, die auch nur halbwegs kapieren was Qualität hat, und singt sich in die Herzen aller, die auch nur ein Fünkchen Sinn haben für Musik "Made in Jamaica".
Mit "If Love So Nice" katapultiert sich Junior Kelly in die Liga der Top Reggae-Artists und für viele scheint es so, als sei er wie ein Komet aus den Weiten des Alls aufgetaucht, um nach diesem einen Hit auch sofort wieder in den Weiten des One Hit Wonder-Nirvanas zu entschwinden. Dabei ist er schon 2000 kein Newcomer mehr und mit 31 Jahren schon recht alt für den Durchbruch, aber er hatte davor einfach noch kein Hit und keinen Longplayeram Start. Beinahe nach dem Motto: Good things will come to those who wait – Gut Ding will Weile haben!
Am 23. September 1969 kommt Junior Kelly als Keith Morgan in Kingston zur Welt. Er verbringt dort seine frühe Kindheit in der Waltham Park Road bis er im Alter von neun Jahren mit seiner Familie nach Frasers Content, Spanish Town im Parrish St. Catherine zieht, in die Nachbarschaft von Charlie Chaplin, dem Sturgav-Deejay. Der junge Keith besucht die Schule und verlebt eine durchschnittliche jamaikanische Kindheit. Die Morgans sind nicht gerade reich, aber es reicht zum Leben. Keiths ältester Bruder trägt immerhin unter dem Pseudonym Jim Kelly als Deejay bei Killamanjaro, dem legendären Soundsystem, seinen Teil zum Familienunterhalt bei. So kommt auch Keith in früher Jugend mit Musik in Berührung, sein ältester Bruder, der Deejay, fungiert dabei als Vorbild. Als Keith 13 Jahre alt ist, fällt sein Bruder einem Gewaltverbrechen zum Opfer, er wird in unmittelbarer Nähe des morganschen Hauses erschossen.
Ein harter Schlag für Keith. Doch der Junge blickt nach vorne und fängt Mitte der Achtziger an, Lyrics zu schreiben und zu gängigen Reggae-Riddims, die er auf den B-Seiten von Singles findet, zu üben. Dies tut er zu Anfang im heimischen Rahmen, später mit ein paar Kumpels, bis er schließlich anfängt, bei Soundsystems auf Dances zu singen. Zu Ehren und als Hommage an seinen ermordeten Bruder, wählt er für sich den Künstlernamen Junior Kelly.
Als seine Inspirationsquellen und Favourite-Artists nennt er unter anderem Bob Marley, Big Youth und Dennis Brown. 1986 macht er für das Neco-Label seine erste Studioaufnahme. "Over Her Body" heißt die Single, allerdings findet sie nicht allzu viel Beachtung. Zwar hat er in der Folgezeit Auftritte bei Live-Shows, doch dauert es geschlagene sieben Jahre, ehe 1993 seine zweite Single "Give Them A Bly" erscheint. "Go To Hell" und "Black Woman" folgen, sowie diverse Aufnahmen wie "Hungry Days" oder "Good Tidings" für das Front Page Label in den USA. Er bestreitet Auftritte auf den wichtigsten Festivals auf Jamaika, so auf dem Reggae-Sunsplash und dem Sting und auch in den USA wird er häufiger für Live-Auftritte gebucht.
So plätschert eine unauffällige, eher unspektakuläre Karriere dahin, wie sie für das Reggae-Biz nicht ungewöhnlich ist. Zumindest bis er 1999 den Tune "If Love So Nice" aufnimmt, der auf M-Rush veröffentlicht wird. In der Stunde des ersten Big-Hits scheint es sich bezahlt zu machen, dass er kein blutjunger Bursche ist, dem der Erfolg schnell zu Kopfe steigt. Bevor "If Love So Nice" schließlich Nr.1 der jamaikanischen Single-Charts ist, bringt er auf Jet Star bereits im Februar 2000 sein Debut-Album "Rising" auf den Markt; die Single ist darauf noch nicht einmal vertreten. Doch im Sog des Songs erfreut sich "Rising" nun eines starken Interesses und es zeigt sich, dass hier ein Sänger mit großem Potential dabei ist, sich zu entfalten. Sein künstlerisches Schaffen wird durch seinen Glauben und seine Lebensführung als Rasta deutlich beeinflusst. Dabei offenbart er sich durch seine Texte als bemerkenswert intelligent, überlegt und weniger aggressiv dogmatisch als viele Protagonisten des Genres. Hinzu kommt, dass er nicht der Verführung durch den schnellen Dollar verfällt wie manch anderer im Biz und nicht im Fließbandverfahren wirklich jeden mittelmäßigen oder gar schlechten Riddim besingt. Es scheint gerade so, als habe er sich Glaubhaftigkeit, Authentizität und Consciousness auf seine Fahne geschrieben und offensichtlich macht ihn das für viele Reggaefans so sympathisch.
In der Auswahl seiner Riddims zeigt er sich sehr flexibel und so sind von ihm gefühlvolle Lovers-Tunes, Nu-Roots-Nummern wie auch Voll-Digi-Riddims, auf denen er gesanglich stramm abgeht, zu hören. Doch nehmen in seiner Arbeit die rootsigeren Elemente einen größeren Stellenwert ein als es denn der harte Dancehall (oder Ragga) tut.
Auf dieser Basis aufbauend legt er in den Jahren 2000 bis 2003 fünf durchweg gute Solo-Alben vor, etliche der Songs werden zuvor schon als 7-inches veröffentlicht und sorgen für Furore. Natürlich fehlen auch die im Reggae fast schon obligatorischen Kombination-Alben nicht, so ist er auf gemeinsamen Scheiben mit Luciano, Anthony B., Sizzla und Capleton zu hören, 2005 teilt er sich mit Capleton und Bounty Killer das Split-Album "The Good, The Bad & The Blazing". Mit "Smiling" (2003) und "Tough Life" (2005) legt er weitere beeindruckende Solowerke vor, und man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass von Junior Kelly noch viel zu hören und zu sehen sein wird.