Die Welt, 31. Oktober 05
Die Königsfamilie "Vom Säufer- und Höllenhund-Schmerzgebaren ihrer männlichen Verwandtschaft ist sie auch jetzt, ein paar Erwachsenenjahre später, noch weit entfernt. Trotzdem ist "The Ones We Never Knew" ein famoses Beispiel für melancholischen Schwarz-Weiß-Country: Lieder über verlorene Träume, verlorene Würde und verlorene Liebe mit der Ernsthaftigkeit einer jungen Frau, die sich eher in einer Singer-Songwriter-Tradition sieht als in der Nähe der Nashville-Diven mit dem "Big Hair", der großen Studiotechnik und dem gierigen Blick auf die Pop-Hitparaden. Durch Erb-Überlegungen ist diese Entscheidung für die dunkle Seite der Countrymacht übrigens unbeeinflußt. Denn Hank senior war für Holly zunächst nur ein fernes Gespenst - wie jeder andere vor 50 Jahren gestorbene Opa für seine Enkelin auch: "Aber ich vergesse nie das erste Mal, als ich hörte, wie Leonard Cohen seinen Namen sang. Ich hörte wie Van Morrisson ihn in einem Lied erwähnte. Ich las, daß Dylan und Springsteen ihn geliebt haben. Und dann, auf meiner ersten Europatournee war es schier umwerfend, in kleinen Städten in Wales zu spielen und zu entdecken, daß jeder dort die Musik meines Großvaters kannte."
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Eine ehrliche Haut
Holly Williams ist in Nashville aufgewachsen und hat ihre erste CD "Those We Didn't Know" auch dort produziert. Trotzdem klingt das Werk weder so, wie man sich eine Nashville-Produktion vorstellt, noch hat sie vordergründig etwas mit Country-Musik zu tun. Das ist in vielerlei Hinsicht erstaunlich - denn in Nashville kommt man als Newcomer für gewöhnlich nun mal am Besten zu recht, wenn man mit dem System schwimmt und obendrein ist Hollys Stammbaum schwer vorbelastet. Als Tochter von Hank Williams jr. (und ergo Enkelin des großen Hank sr.) erwartet man ja schließlich einiges von ihr. Doch nahezu mühelos gelingt es ihr mit ihrem ausgezeichneten eigenen Songmaterial, einer angenehm wohlklingenden Singstimme und letztlich vielseitigen, originellen Arrangements diese etwaigen Erwartungen nicht nur überzuerfüllen, sondern dieses obendrein auf eine ganz andere Art, als es vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Es ist also von Anfang an klar: Holly Williams geht ihren eigenen Weg - und das sehr zielgerichtet.
Ihr Debütalbum klingt dabei eigentlich ausgeschlafener als das Debütalben gemeinhin tun - was aber vielleicht damit zusammenhängt, dass sie schon sehr früh begann, mit der Musik zu experimentieren. "Ja, das stimmt, ich habe tatsächlich sehr früh angefangen, Songs zu schreiben - so mit ungefähr sechs Jahren", verrät Holly, "aber das waren eher so Experimente. Damals gab es noch keinen Plan, Musikerin zu werden. Als ich indes älter wurde, begann ich irgendwann Gitarre zu spielen. Noch in derselben Woche schrieb ich einen Song. Das gab mir die erste Idee über die Möglichkeiten, die sich mir boten. Dennoch dauerte es sehr lange, bis ich den Punkt überschritt zwischen 'überhaupt nicht wissen, was ich tun sollte' und 'unbedingt Musikerin werden wollen'. Ich habe mich jedoch dann dazu entschlossen und das war's dann. Ich verbrachte drei Jahre damit, in Nashville aufzutreten und Songs zu schreiben. Dabei versuchte ich mich von der Szene fernzuhalten und bloß nicht etwa bei einem Nashville-Label zu unterschreiben. Mir war es wichtig, dass jeder, der mit mir zusammen arbeiten sollte, auch meine Musik mögen müsste und wissen sollte, worüber ich sang. Ich baute dann meine Website auf und veröffentlichte eine EP im Eigenvertrieb. Schließlich sammelte sich einiges an positiver Presse an und das führte mich zu meinem Label. Seither lief eigentlich alles prima." Warum arbeitet Holly auf ihrer Scheibe mit relativ unbekannten Musikern? (Die auch nicht der alternativen Nashville-Szene um Lambchop & Co. entstammen.) "Nun, die Leute auf der Scheibe, die bekannt sind, sind Larry Campbell, der seit Jahren Steel Gitarre für Bob Dylan spielte und der Drummer George Roscelli, der für alle möglichen Acts gespielt hat", schränkt Holly ein, "die anderen sind aber Musiker, mit denen ich seit Jahren in Nashville spielte. Ich wollte mit Leuten aufnehmen, die mich kannten und nicht mit anonymen Studiomusikern. Ich muss mich im Studio auch irgendwo wohlfühlen, und da ist es besser, mit Leuten zu spielen, die man gewohnt ist."
Nun sind die Songs von Hollys Debütalbum ja, wie bereits erwähnt, keineswegs dem Country-Genre zuzuordnen, sondern eher dem gepflegten Singer- / Songwritertum. Wie entstehen denn Holly Williams-Songs? "Es ist so, dass mich die Texte und die Musik für gewöhnlich zusammen erwischen", erklärt Holly, "es passiert selten, dass ich z.B. erst Texte schreibe. Allerdings ist es so, dass ich mich schon mehr auf die Texte konzentriere und die Melodie dann von selber passiert. Am Schwierigsten ist, beides zusammenzuführen." Es scheint so, dass Hollys Songs offensichtlich von verschiedenen Charakteren bevölkert werden... "Nun, es fällt mir relativ leicht, mich in andere hineinzuversetzen", erklärt dies Holly, "wichtig ist, dass die Stories auf realen Erlebnissen beruhen - seien es meine oder die jemanden anders. Ich ziehe mir aber nur Schuhe an, die mir passen, wenn ich das mal so sagen darf. Es ist also alles auf irgendeiner Ebene persönlich." Hinzu kommt noch, dass Holly in ihren Songs meistens zu jemandem singt. Wer ist das denn für gewöhnlich? "Manchmal ist es der Zuhörer", führt Holly aus, "'All As It Should Be' richtet sich direkt an den Zuhörer. Aber andere Stücke wie 'Would You Still Have Fallen' richten sich an konkrete Personen. In dem Fall einen persönlichen Freund, der mit einem Alkohol-Problem kämpft. 'Man In The Making' handelt von einer Beziehungskrise. Dieser Song ist sehr direkt, weil er von einem Ex-Lover handelt. Wenn ich also zu jemandem singe, habe ich schon spezielle Personen im Sinn." Okay - drücken wir es mal anders aus: Hollys Songs hören sich an, als schriebe sie in ihr Tagebuch. "Das haben mir auch schon viele Leute gesagt", muss sie eingestehen, "ich weiß, was du meinst. Ich trage tatsächlich immer ein Tagebuch mit mir herum. Meine Texte scheinen als Briefe herauszukommen, die ich an bestimmte Leute schreibe. Ich mag das aber. Meiner Meinung nach ist das die aufrichtigste, ehrlichste Art, in der du Songs schreiben kannst. Ich weiß aber gar nicht, warum das so funktioniert. Darüber habe ich noch nie so richtig nachgedacht. Es ist eben die Art, in der ich Songs schreibe." Was löst denn den Prozess des Liedermachens aus? "Also es ist nicht so, dass ich Pläne mache und mir etwa vornehme, über bestimmte Themen zu schreiben", meint Holly vorsichtig, "es kommt sozusagen alles immer über mich. Ich muss mich immer darauf konzentrieren, es nicht in eine bestimmte Form pressen zu wollen. Das klingt dann nämlich schnell nach Klischees. Das ist eine Erfahrung, die ich im Laufe der Jahre machte - dass es nämlich am besten ist, alles fließen zu lassen. Manchmal kommen an einem Tag zwei oder drei Songs aus dem Blauen. Ich kann das wirklich nicht genau erklären. Das ist aber wirklich das, was an der Sache den meisten Spaß macht - während es andersherum äußerst frustrierend ist, wenn das nicht passiert, wenn man einen Song einfach nicht zu Ende bringen kann, weil der letzte Vers, die letzte Note, das letzte Wort fehlt..." Holly spielt ja auch Klavier. "Ja, genau", bestätigt sie, "und ich schreibe auch Songs auf dem Piano. Die Hälfte der Songs auf der Scheibe entstand so. Ich habe aber erst vor zweieinhalb Jahren begonnen, Klavier zu spielen. Ich schreibe anders auf dem Piano als auf der Gitarre. Wobei ich den Unterschied gar nicht so genau erklären könnte. Ich mag nämlich beide Instrumente, sie sind aber sehr verschieden. Das beeinflusst dann mein Songwriting durch den Sound."
Wo sieht Holly Williams denn ihre musikalischen Wurzeln? Wie gesagt, es ist definitiv nicht die Musik, die ihr Vater und ihr Großvater gemacht haben. Jedenfalls nicht direkt. "Nun, es gibt so viele Songwriter, die ich mir gerne anhöre", überlegt Holly, "Joni Mitchell, Neil Young, Van Morrison, Nick Drake, Tom Waits, Elliott Smith. Was Bands angeht, mag ich alte Genesis-Sachen, Peter Gabriel, Radiohead. Das ist also ganz schön unterschiedlich. Ich mag aber alles, was irgendwie ehrlich und aufrichtig ist." Was hingegen hat Holly denn von der Arbeit ihrer Vorfahren für sich angenommen? "Eigentlich nur die Lektion, dass es darum geht, ein Individuum zu sein und nicht auf Andere zu hören. Gerade mein Vater musste ständig mit so viel Kritik leben und ist am Ende doch erfolgreich geworden. Das habe ich hautnah miterlebt - ich bin ein paar Mal mit meinem Vater aufgetreten - und habe das immer bewundert. Ach ja, dann gibt es noch etwas: Ich habe nämlich erkannt, dass weniger mehr ist, wenn es um's Stücke schreiben geht. Daran werde ich immer erinnert, wenn ich Hank sr. Songs höre." Wie schlägt sich all das denn in Hollys Performances nieder? "Nun, andere Acts zu beobachten hilft mir immer bei meiner eigenen Performance", erzählt Holly, "ich habe oft meinen Vater beobachtet und gehe überhaupt ständig auf Konzerte, so dass ich da einiges mitbekomme. Zum Glück bin ich nicht allzu nervös, wenn ich auftrete. Ich singe dann auch lauter. Meine Stimme klingt live ganz anders als auf Konserve - da haben mich auch schon viele Leute drauf angesprochen. Und dann habe ich auch ein paar schnellere und lautere Stücke im Repertoire, die ich live spiele und auch mal auf Scheibe bannen möchte." Was ist denn für die Sängerin Holly Williams wichtig? "Nun, es hat lange gebraucht - ich würde sagen drei oder vier Jahre - bis ich meine Stimme wirklich kannte", erinnert sich Holly, "nun ist es mir möglich, das auszudrücken, was ich möchte. Die Sänger, die ich mag, sind Otis Redding, Sam Cooke oder Al Green. Sänger also, die sehr viel Kontrolle über ihre Stimme hatten. Das ist es auch, was ich anstrebe. Und dann ist es mir noch wichtig, Performances zu erzielen, bei denen man die Emotionen heraushören kann. Denn nur, was man fühlen kann, bedeutet wirklich etwas. Ich liebe jedenfalls immer Scheiben, die sich anhören, als explodiere der Sänger - egal ob auf gute oder schlechte Art. Man muss die Emotion in der Stimme hören können." Vielleicht ist es nur ein Zufall, aber Holly singt auf der Scheibe des Öfteren über das Beten. Gibt es denn auch eine spirituelle Ader, die sich durch Hollys Schaffen zieht? "Ich glaube schon", bestätigt sie, "mir ist das aber nie aufgefallen, bis mich die Leute darauf aufmerksam gemacht haben. Ich bin in einem christlichen Zuhause aufgewachsen. Es war nicht irgendwie streng, sondern eher normal. Aber meine Mutter, die die wärmste und liebenswerteste Person ist, die du dir vorstellen kannst, hat mich in dem Glauben aufgezogen, dass alles aus einem Grund heraus passiert und dass jemand über mich wacht. Das hilft mir irgendwie. Wenn ich mir jetzt z.B. die Wolken anschaue, überkommt mich gleich wieder meine schreckliche Flugangst und da hilft es mir eben, wenn es die Vorstellung gibt, dass tatsächlich jemand auf mich aufpasst."
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PRESSE
Rolling Stone, November 2005
"Eindeutig Talent geerbt: Williams geht gern dahin, wo es weh tut" "Doch in den Schwitzkasten der großen (Country-)Tradition läßt sich Holly Williams gar nicht erst nehmen. Die einzige textliche Referenz geht an den ganz Alten, dem sie - gleich zum Auftakt im lieblichen Wunschreigen "Sometimes" - gern als Schutzengel erschienen wäre, damals Silvester '52 im blauen Cadillac. Das hat bekanntlich nicht geklappt, weshalb sich der Opa nur am Himmelsempfänger an einer Enkelin erfreuen darf, die auch ganz gern dahin geht, wo's ein bißchen weh tut. Nicht mit dieser Konfrontativen Intensität natürlich, mit dieser schmerzlichen Klarheit,eher um Einsichten ringend und schon ziemlich abgeklärt und auch mal einen Tick jungklug.. Dazu jenseits des Standardinstrumentariums um Piano und Gitarren auch mal ein Flügelhorn und die Streicher so dezent wie ein gehauchter Kuß..... - das ist ihre Selbstdisziplin: Mea-culpa-Songs für Verflossene. Eine Shelby Lynne ist sie (noch nicht, aber in der Gewichtsklasse von Sheryl Crow wird Holly Williams bestimmt nicht für zu leicht befunden."
Jazzthing/Blue Rhythm, Herbst 2005
"..Natürlich fühlt sich Holly den Country-Roots ihrer Familie verpflichtet, aber ihre Affinität zu britischen Bands wie Radiohead und Verve oder der Songschreiberkunst von Kiwis Neil oder Tim Finn (Crowded House, Split Enz) will Holly nicht verbergen. Das Resultat sind zwölf großartig und spannend arrangierte Songs, die, obwohl teilweise opulent mit streichern orchestriert, immer sehr intim wirken.
Die Welt, 31. Oktober 05
Die Königsfamilie "Vom Säufer- und Höllenhund-Schmerzgebaren ihrer männlichen Verwandtschaft ist sie auch jetzt, ein paar Erwachsenenjahre später, noch weit entfernt. Trotzdem ist "The Ones We Never Knew" ein famoses Beispiel für melancholischen Schwarz-Weiß-Country: Lieder über verlorene Träume, verlorene Würde und verlorene Liebe mit der Ernsthaftigkeit einer jungen Frau, die sich eher in einer Singer-Songwriter-Tradition sieht als in der Nähe der Nashville-Diven mit dem "Big Hair", der großen Studiotechnik und dem gierigen Blick auf die Pop-Hitparaden. Durch Erb-Überlegungen ist diese Entscheidung für die dunkle Seite der Countrymacht übrigens unbeeinflußt. Denn Hank senior war für Holly zunächst nur ein fernes Gespenst - wie jeder andere vor 50 Jahren gestorbene Opa für seine Enkelin auch: "Aber ich vergesse nie das erste Mal, als ich hörte, wie Leonard Cohen seinen Namen sang. Ich hörte wie Van Morrisson ihn in einem Lied erwähnte. Ich las, daß Dylan und Springsteen ihn geliebt haben. Und dann, auf meiner ersten Europatournee war es schier umwerfend, in kleinen Städten in Wales zu spielen und zu entdecken, daß jeder dort die Musik meines Großvaters kannte."
Indigo Notes, November 2005
Holly Williams? Nie gehört.Kein Wunder! Obwohl diese Scheibe klingt wie jene einer Songwriterin, die bereits seit 30 Jahren im Geschäft ist, ist es doch erst das Debüt der Enkelin von Hank Williams. Mit dem Stil ihres Opas hat Holly indes nichts am Hut. Und das, obwohl sie in Nashville aufwuchs - Country gibt es keinen. Statt dessen enorm kompetent hingehauchte, großteils akustisch orientierte, persönliche Songs in der Tradition von Kolleginnen wie Thea Gilmore oder Kathleen Edwards. Viel benötigt es dazu nicht: Stimme, Gitarre, Piano und gelegentlich ein paar reichhaltig arrangierte Passagen mit Streichern und Band sind alles, was es braucht, um den Hörer glücklich zu machen. Wenn überhaupt hat Holly eines von ihrem Großvater gelernt: dass in der Simplizität der Schlüssel zum Erfolg liegt. Bemerkenswert ist aber auf jeden Fall die Tatsache, dass es Holly gelang, trotz ihres vorbelasteten Stammbaumes eine vollkommen eigene Identität zu entwickeln und damit auf jeder! Ebene überzeugt."